Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht
Autoren: Anthony Horowitz
Vom Netzwerk:
»Ich meine, ich weiß, für wen Sie arbeiten. Aber was wollen Sie mit den beiden?«
    »Ich glaube, Sie haben nicht richtig zugehört«, antwortete Banes. »Wir sind niemand. Sie haben uns nie getroffen. Die Jungen existieren nicht mehr.«
    »Schon klar. Ganz wie Sie meinen.«
    Von draußen war Popmusik zu hören, die aus den Lautsprechern an der Bühne dröhnte. Ein kurzer Klingelton machte die Künstler darauf aufmerksam, dass es gleich wieder losging. Die zweite Vorstellung des Abends begann.

GEFANGEN IM NEONLICHT
    »Solange ich mich erinnern kann, wissen wir beide, was im Kopf des anderen vorgeht. Das macht es nicht gerade einfach, wenn einer von uns versucht, ein Mädchen kennenzulernen…«
    Wie oft hatte er das schon gesagt? Als Jamie mit der zweiten Vorstellung des Abends begann, war er plötzlich todmüde. Er hasste Reno. Die Stadt war sein Gefängnis. Es war die Insel, auf der er Schiffbruch erlitten hatte. Aber eine Heimat würde sie nie sein.
    Die Stadt fühlte sich leer an. Die Straßen waren zu breit für die Anzahl der Autos, die dort fuhren, immer geradeaus, so weit das Auge sehen konnte. Die Läden und Büros lagen zu weit auseinander, getrennt durch Baugrundstücke, auf denen nie etwas gebaut wurde. Und Menschen sah man auch nie auf den Straßen. Natürlich kamen sie jeden Freitag, die Touristen und die Junggesellen-Abschiedspartys, aber sobald sie aus ihren Autos oder dem Flugzeug stiegen, wurden sie in die Spielcasinos gesogen und tauchten erst am Sonntagabend übermüdet und pleite wieder auf.
    Etwas anderes gab es in Reno nicht. Sogar der Fluss Truckee, der mitten durch die Stadt strömte, war so grau und langweilig, wie ein Fluss nur sein konnte. Er war zwischen zwei Betonmauern eingepfercht, und das Wasser floss so schnell, als könnte es kaum erwarten, die Stadt endlich wieder zu verlassen.
    Wenn Jamie zum Theater ging, sah er oft zu der Bergkette am Horizont. Selbst in der größten Hitze waren die Gipfel schneebedeckt, und manchmal stellte er sich vor, dass sie ihm die Hoffnung auf ein anderes Leben jenseits von Reno vorflüsterten. Wenn er nur über die Berge kommen könnte… auf die andere Seite. Ihm war klar, dass das nie geschehen würde. Er saß hier fest. Um Reno herum gab es nichts. Wenn man zehn Minuten in irgendeine Richtung fuhr, kamen nur noch Wüste, Gestrüpp und sandbedeckte Hügel. Scott hatte es ein paar Tage nach ihrer Ankunft genau richtig beschrieben: »Wir sind mitten im Nirgendwo, Jamie. Und genau da gehen wir auch hin.«
    Im Theater waren noch weniger Zuschauer als bei der ersten Vorstellung, und bisher war es nicht gut gelaufen: Bobby Bruce hatte seinen Text vergessen, Zorro die Handschellen nicht aufbekommen, und sogar Jagger war zu spät in seinem Käfig aufgetaucht. Jamie spürte die schlechte Laune der Leute. Sie hatten bei seinem Eröffnungswitz nicht einmal gelächelt.
    Er spulte jedoch weiter sein Programm ab und ließ sich von den Strahlern blenden, um nicht ins Publikum sehen zu müssen. Diesmal wählte sein Freiwilliger den Houston Chronicle aus dem Zeitungsstapel, und das eingekreiste Wort war »und«. Das war immer ein schlechtes Zeichen. Solche kleinen, unbedeutenden Worte ließen ihren Trick weniger eindrucksvoll erscheinen.
    Als Jamie auf die Bühne zurückkehrte, musste er wieder daran denken, dass es bei der ersten Vorstellung das Wort »Beerdigung« gewesen war. Sicher keines der netteren Worte, aber wenigstens hatte es die Zuschauer wachgerüttelt.
    Auf der Suche nach jemandem, der ihm helfen würde, Scott die Augen zu verbinden, ließ er den Blick kurz über das Publikum schweifen. Da sah er sie. Der Kahlkopf, der ihm seine Visitenkarte gegeben hatte, saß in der fünften Reihe und der Dunkelhaarige neben ihm. Jamie hatte gerade gesprochen, doch ein Schauer ließ ihn mitten im Satz verstummen. Er spürte, wie Scott ihn ansah. Er wusste, was Scott tat, auch ohne sich zu ihm umzudrehen. Warum waren die beiden Männer schon wieder da? Manchmal kamen Leute, um sich zwei Vorstellungen anzusehen. Meistens waren es Zauberer oder Gedankenleser, die herausfinden wollten, wie der Trick der Brüder funktionierte. Aber diese Männer in ihren identischen braunen Anzügen gehörten sicher nicht zur Unterhaltungsbranche. Und sie waren auch nicht gekommen, um sich unterhalten zu lassen. Die Art, wie sie ihn ansahen – wie zwei Wissenschaftler, die ein seltenes Lebewesen studierten. Jamie spürte sofort wieder das Unbehagen, das er bereits bei der ersten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher