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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht
Autoren: Anthony Horowitz
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war es eine Brieftasche, ein Kartenspiel oder ein Führerschein. Aber Scott schwieg.
    »Scott, was habe ich hier?«, fragte Jamie. Damit brach er die Regel, die Don White ihm beigebracht hatte. Wenn er etwas sagte, würde das Publikum glauben, dass er einen Code benutzte.
    »Ich… ich weiß es nicht.« Scott drehte den Kopf, als versuchte er, durch seine verbundenen Augen etwas zu sehen.
    Jamie hatte das Gefühl, als würde sich der Boden unter ihm drehen. Etwas war schiefgegangen. Er sah seinen Bruder an und spürte dessen Anspannung. Scott hatte die Arme an den Körper gepresst und die Fäuste geballt.
    »Es ist ein Bild.« Verzweifelt versuchte Jamie, ihm zu helfen. »Was ist auf dem Bild zu sehen?«
    Plötzlich schrie Scott auf. Seine Hand fuhr hoch zu seiner Stirn, als hätte er Schmerzen. »Sein Name ist Daniel«, sagte er. »Er wartet darauf, dass Sie ihn finden. Ihm wurde wehgetan, aber es geht ihm gut. Er wartet.«
    Es war Scotts Stimme, aber sie klang nicht so. So etwas war noch nie passiert.
    Dann trat die Frau vor und riss Jamie das Foto aus der Hand. Als Jamie sie ansah, merkte er, wie wütend sie war. »Wo ist er?«, schrie sie. »Was wisst ihr?«
    »Ich weiß gar nichts!« Jetzt schien es, als würde sich das ganze Theater drehen. Das Licht der Scheinwerfer brannte auf seiner Haut, und Jamie wollte nur noch von der Bühne.
    »Sag mir, was ihr wisst!«
    »Aber wir…«
    »Meine Damen und Herren… Scott und Jamie Tyler, die telepathischen Zwillinge!« Frank Kirby, der immer noch das Kostüm von Mr Marvano trug, hatte von der Seite zugesehen und beschlossen, die beiden zu retten. Applaudierend kam er auf die Bühne. Etwa die Hälfte der Zuschauer klatschte ebenfalls. Sie hatten etwas gesehen, aber sie waren sich nicht sicher, was sie davon halten sollten. Der Trick mit der Zeitung war ganz gut gewesen. Aber der mit dem Foto hatte nicht geklappt. Oder doch? Die Frau in der weißen Bluse sah jedenfalls ziemlich geschockt aus. Hatten die Zwillinge den Jungen auf dem Foto richtig erkannt, und wenn ja, wo war er?
    Die Show war vorbei. Jamie führte Scott von der Bühne und streifte ihm im Gehen die Augenbinde ab. Frank bedankte sich bei der Frau und begann mit seiner Abschlussrede, nach der stets der Vorhang fiel.
    »Meine sehr verehrten Damen und Herren. Heute haben Sie mit uns eine Reise in die Welt der Illusionen unternommen…«
    Niemand hörte ihm zu. Die Frau saß wieder auf ihrem Platz und schien tief in Gedanken versunken. Banes und Hovey saßen ein paar Reihen hinter ihr und rührten sich nicht. Etliche andere Leute waren schon aufgestanden und griffen nach ihren Taschen und Jacken. Die Musik spielte wieder und übertönte Franks Worte. Auch wenn die Vorstellung gut lief, war sie eine Enttäuschung, aber an diesem Abend war es eine komplette Katastrophe gewesen.
    Don White wartete schon hinter der Bühne.
    Als Jamie die Bühne verließ, war das finstere Gesicht von »Onkel Don« das Erste, was er sah. Er fürchtete, dass Don während der gesamten Vorstellung dort gestanden hatte, und rechnete bereits mit einer Ohrfeige oder wulstigen Fingern, die nach seinem Hals griffen. Don schien ziemlich sauer zu sein. »Was ist da draußen passiert?«, fragte er streng. Seine fetten Lippen waren mürrisch nach unten verzogen.
    »Ich weiß nicht«, sagte Jamie. »Irgendwas ist schiefgegangen.«
    »Das war dein Bruder. Er hat Mist gebaut.«
    »Ja, stimmt. Es war meine Schuld.« Scott trat einen Schritt vor. Instinktiv hatte er sich zwischen Don White und seinen Bruder gestellt. Das machte er immer.
    Jamie wartete darauf, dass etwas passierte. Aber an diesem Abend gab es keine Gewalt. Don zuckte nur seine fetten Schultern und ließ die Hände sinken. »Schwamm drüber«, sagte er. »Ich sehe euch dann später. Geht in eure Garderobe, und wartet da auf mich.« Er drehte sich zu den anderen Künstlern um, die herumstanden und sich fragten, was passiert war. »Und ihr seht zu, dass ihr nach Hause kommt, damit wir für heute Schluss machen können.«
    Jamie folgte seinem Bruder in die Garderobe. Es sah aus, als würden sie keinen Ärger kriegen. Wenn Don sie hätte schlagen wollen, hätte er es sofort getan. Die beiden betraten ihr Zimmer und ließen die Tür offen. In aller Ruhe zogen sie sich um. Nach Sparks, ein Vorort Renos, wo sie mit Don und Marcie lebten, fuhr man zwanzig Minuten mit dem Auto, und an den meisten Abenden nahm Don sie mit. Nur wenn er noch etwas trinken gehen oder sein Geld im Spielcasino
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