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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht
Autoren: Anthony Horowitz
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Lagerraum war.
    Scott und Jamie brauchten eine halbe Stunde, um eine Fremdenführerin zu finden, die Englisch sprach. Von ihr erfuhren sie, dass sie in Peru waren, wenn auch in einem vollkommen falschen Landesteil. Sie waren in der Stadt Cuzco gelandet, hoch oben in den Anden. Die Kirche trug den Namen Santo Domingo und war von den Spaniern auf den Überresten einer anderen heiligen Stätte errichtet worden… Coricancha, dem Goldenen Tempel, einst ein heiliger Ort der Inka.
    Sie waren weit weg von Kalifornien, und obwohl ihnen alles – einschließlich der Sprache – fremd war, fühlten sie sich sicher. Die Nacht verbrachten sie in einem Hotel. Im letzten Augenblick hatte Alicia eine Eingebung gehabt und Jamie hundert Dollar in die Hand gedrückt. Das Geld verhalf ihnen zu einem Zimmer und einer Mahlzeit. Und am nächsten Morgen würden sie es dazu verwenden, zwei Busfahrkarten in eine kleine Stadt an der Westküste zu kaufen. Eine Stadt, die Nazca hieß.
    Es stellte sich heraus, dass die Fahrt mehr als achtundvierzig Stunden dauerte. Scott sprach immer noch nicht – er schickte auch kaum Gedanken –, und nachts, wenn er schlief, murmelte und schrie er oft oder zuckte, als würde er elektrische Schläge bekommen. Jamie zwang sich zur Ruhe. Pedro erwartete sie. Der Heiler. Er musste Scott nur zu ihm bringen, und dann würde alles gut werden.
    Zwei Tage später kamen sie an. Ein Taxi brachte sie zu einem hübschen, weiß getünchten Haus mit einem großen Garten, in dem Lamas frei herumliefen. Als sie durchs Tor gingen, öffnete sich die Haustür, und ein Junge kam heraus. Jamie erkannte ihn sofort. Kurzes dunkles Haar. Breite Schultern. Blaue Augen.
    Es war Matt.
    Ihm folgte ein zweiter Junge, und auch ihn erkannte Jamie. Es war Pedro. Es war ein merkwürdiger Gedanke, dass sie bei ihrem letzten Treffen zusammen Wein auf einem Schlachtfeld getrunken hatten. Er fragte sich, wie er ihnen all das erklären sollte. Womit sollte er anfangen?
    Matt kam auf sie zu. Auch wenn er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, war doch deutlich, dass er Schmerzen hatte. Damit waren sie schon zu dritt. Scott brauchte Hilfe. Und Jamie hatte immer noch ein Loch in seiner Schulter. Er fragte sich, wie viele von ihnen noch verletzt werden würden, wie viele sterben mussten, bevor all das vorbei war.
    Endlich standen sie sich gegenüber.
    »Jamie«, sagte Matt. »Und Scott.«
    Er streckte die Hand aus. Jamie ergriff sie.
    Vier der Fünf hatten sich gefunden. Der Kreis war fast geschlossen.

ABREISE
    Das Mädchen im Warteraum der Business-Klasse des Flughafens Heathrow in London trug eine kurze weiße Jacke, ein pinkfarbenes T-Shirt und eine dreiviertellange Hose. Auf dem Sitz neben ihr lag ihr Rucksack. Sie hatte ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß, aber sie hatte in den dreißig Minuten, die sie nun schon wartete, nicht darin gelesen. Auf dem Tisch vor ihr stand ein Glas Cola, aber auch das hatte sie nicht angerührt.
    Es war die zweite Novemberwoche, und das Wetter war plötzlich unangenehm herbstlich geworden. In London stürmte und regnete es, und die Menschen hasteten mit Regenschirmen durch die Straßen und hielten ihre Hüte fest. Auch jetzt prasselte der Regen gegen die Fenster des Warteraums und tropfte von den Tragflächen der bereitstehenden Flugzeuge. Die Rollbahnen sahen noch grauer aus als sonst. Die meisten Flüge hatten Verspätung.
    Das Mädchen hatte einen britischen Pass, aber wie eine Engländerin sah es nicht aus. Sie war sehr hübsch, zur Hälfte Chinesin. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ihre Augen leuchteten in einem ungewöhnlichen Grünton. Sie war klein und dünn, wirkte aber sehr selbstsicher – wie jemand, der gut auf sich selbst aufpassen konnte. Sie flog als »allein reisendes Kind« – so nannte die Fluggesellschaft es –, und sie hatten ihr ein Plastikschild gegeben, das sie um den Hals tragen sollte. Sie hatte es sofort abgenommen, als sie sich hingesetzt hatte.
    Ihr Name war Scarlett Adams, und sie war vierzehn Jahre alt.
    Normalerweise machte ihr das Fliegen nichts aus, aber heute war sie nervös. Sie wusste immer noch nicht, warum sie fliegen sollte. Am Tag zuvor war sie noch auf die teure Privatschule in Dulwich gegangen, die sie seit einem Jahr besuchte. Es war eine reine Mädchenschule in einem überaus protzigen Haus aus der Zeit von Königin Viktoria, an dem Efeu wucherte und zu dem ein riesiger Garten gehörte. Obwohl die Schule auch ein
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