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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund
Autoren: Elisabeth Herrmann
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und diesem Dorf, mit meinen eigenen Händen.«
    »Raus!«, schrie Zach. Er sah aus wie ein wild gewordener Bulle. »Alles Lügen! Glaubt ihr etwa diesem versoffenen Miststück?«
    Er deutete auf Trixi, die verzweifelt die Hände vors Gesicht schlug.
    »Oder dieser kleinen dahergelaufenen Schlampe, die von Kiana erst so richtig angestachelt worden ist?«
    »Kiana hatte recht!«, rief Nico. Der Druck von Leons Hand auf ihrer Schulter wurde stärker. Bleib sitzen, sollte das heißen. Bleib um Himmels willen sitzen.
    »Kiana hatte recht«, wiederholte eine Stimme. Rau wie Sandpapier, brüchig wie altes Pergament. »Und wir haben sie aus dem Haus gejagt.«
    Alle Köpfe fuhren herum, alle Augen blickten auf Zita. Die alte Frau mit den tiefen Falten und dem gebeugten Rücken hatten sie völlig vergessen. Zita umklammerte noch immer ihren Stock mit zitternden Händen. Sie sieht aus wie eine alte Indianerin, fuhr es Nico durch den Kopf. Eine Schamanin, die im Begriff ist, ein grausames Urteil zu verkünden. Auch die anderen schienen von Zitas Verwandlung in den Bann gezogen.
    »Du bist nicht mehr mein Blut.«
    Fassungslos fiel Zachs Hand von der Türklinke herunter. Mit offenem Mund starrte er Zita an.
    »Ich habe dich gesehen, wie du aus Filis Zimmer gekommen bist. Den Reißverschluss deiner Hose hast du hochgezogen. Ich hörte Filis Weinen. Aber ich fürchtete mich, zu ihr zu gehen. Ich fürchtete mich, ein Monster großgezogen zu haben. Wird Gott mir diese Furcht je verzeihen?«
    Ihr trüber Blick suchte den Pfarrer. Der ließ Trixi los, die sich das Gesicht abwischte. Er faltete die Hände und senkte den Kopf. Nico dachte an das Beichtgeheimnis. Wenn Trixi ihm tatsächlich von ihrem Verdacht erzählt hatte, musste er sich all die Jahre lang furchtbar gefühlt haben.
    »Das … Das bildest du dir ein«, stotterte Zach. Sein Blick irrlichterte durch den Raum auf der Suche nach letzten Verbündeten. Aber keiner rührte sich.
    »Also habe ich geschwiegen«, fuhr Zita fort. Ihre Stimme wurde mit jedem Wort fester. »Lieber habe ich die Mahner vom Hof gejagt als dieser grausamen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Und selbst heute, zu dieser Stunde noch, wäre ich lieber tot als dich zu sehen und zu wissen, was du bist. Geh. Geh mir aus den Augen. Ich will vergessen, dass du geboren wurdest.«
    »Zita …«
    »Ich kenne dich nicht. Wäre ich nur mutiger gewesen, ich hätte die Tragödie vielleicht verhindern können. Stattdessen wollte ich vergessen. Das Wegsehen hat Philomenia aus dem Haus gejagt. Und wir haben weiter geschwiegen. Aber das Ungesagte, Ungesühnte hat unsere Familie vergiftet. Die Feigheit hat die einen zu Säufern gemacht und die anderen zu hartherzigen Monstern. Bis dieses Mädchen kam und alles wieder aufwühlte.«
    Nico erschauerte unter dem Blick, mit dem die Alte sie ansah.
    »Ich habe dich verflucht, weil du die Geister aus den Gräbern geholt hast. Ich konnte es nicht ertragen, noch einmal dieselben Fragen zu hören. Alles kam wieder hoch, wie Moorleichen vom Grund eines trüben Sees. Weil du gekommen bist. Ich wünschte … Ich wünschte …« Nico stockte der Atem. Jetzt bitte kein Fluch, dachte sie. Das halte ich nicht mehr aus. »… ich hätte deinen Mut gehabt, mein Kind.«
    Die Stimme der Alte war plötzlich ganz weich geworden. Tränen schimmerten in ihren Augen.
    »Es tut mir leid«, flüsterte Nico. »Aber es ging nicht anders.«
    Zita stand auf. Sie würdigte Zach, der mit hängenden Schultern dastand und auch nicht mehr weiterwusste, keines Blickes. Stattdessen wandte sie sich Lars zu, und alle Blicke folgten ihr.
    »Das Haus gehört dir, Lars. Das hatte dein Vater noch so bestimmt, aber du hast dich immer wieder von Zacharias an der Nase herumführen lassen. Nimm es und mach, was du willst. Ich werde mir einen Platz in einem Heim suchen. Wenn man meine alten Knochen noch nimmt.«
    »Das … Das kommt nicht in Frage«, sagte Leon. Er rang nach Worten. Zitas Geständnis, das alles ans Licht gebracht hatte, hatte ihn genauso aufgewühlt wie die anderen. »Du bleibst hier. Der Schwarze Hirsch ist dein Zuhause und wird es bleiben. Nicht wahr?«
    Er sah zu seinem Vater. Lars Urban nickte. Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, als ob er etwas abwaschen wollte. Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus.
    »Das wird ein schweres Erbe. Ich weiß noch nicht genau, wie wir es anstellen werden, aber spätestens im nächsten Sommer herrscht hier wieder Betrieb. Und wenn du dann noch deine alte
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