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Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Titel: Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)
Autoren: Antje Wagner
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Allerdings hatten wir keinen Herd. Polly kochte stattdessen im Kopf.
    Die Taschenlampe lag nicht auf der Kommode, und ich tastete jetzt auf dem Boden herum. Mein Rücken schmerzte. Es zog vom Steiß über die Wirbelsäule bis zu den Halssehnen hoch. „Wo ist die verdammte Taschenlampe hin?“
    „Keine Ahnung. Vielleicht im Regal?“
    „Du kannst doch nicht die ganze Zeit im Dustern hocken!“
    „Glaub mir, die Wohnung ist erträglicher, wenn man sie nicht sehen muss“, sagte Polly. „Außerdem kann ich so Orientierung üben. Für den Fall, dass ich mal erblinde.“
    Ich stand auf und stieß mir den Kopf an der Garderobe, die die erstaunliche Eigenschaft zu besitzen schien, im Finstern zu wandern. „Toll, gibst du mir Nachhilfe?“ Mit ausgestreckten Armen ging ich ins stockfinstere Wohnzimmer, um das Regal abzutasten.
    „Klar, wenn du anrufst!“, rief Polly.
    „Wen soll ich anrufen?“
    „Jetzt tu doch nicht so …“
    - - -
    Acht Zimmer pro Schicht waren im Starlight das Soll. Ich hatte dreizehn übernommen. Wegen des Geldes. Dreizehn Zimmer mit Bad und Kochnische, und sobald die Gäste merkten, dass wir Mädchen auch das Geschirr machten, rührten sie den Abwasch nicht mehr an.
    Es gab zwei fünfzig pro Zimmer, aber weil der Hotelmanager keine Fragen stellte und mich am Ende der Woche bar auszahlte, hatte ich nicht gefeilscht. Nur mein Rücken machte langsam Probleme. Die Gäste zahlten ein Vermögen für sanfte Nächte, und je teurer der Schlaf ist, desto schwerer sind die Matratzen.
    Wenn alles normal lief, schaffte man ein Zimmer in fünfundzwanzig Minuten. Wenn man bestimmte Tricks kannte, reichte sogar eine Viertelstunde. Hatte eine von uns aber Pech, weil sie beim Tricksen erwischt wurde, dann wurde sie überwacht und brauchte eine Stunde.
    Zwei fünfzig, und seit zwei Wochen unterschlugen sie mir bei der Abrechnung jedes Mal ein paar Zimmer. Doch ich wusste, dass Rosa dahintersteckte und schwieg.
    Rosa. Der Name passte zu ihr wie ein Schleifchen zu einer Viper, und mir war klar, dass sie den Moment herbeisehnte, an dem ich meuterte. Sie stand beim Abrechnen vor mir und sah mich mit schmalen Augen an.
    Es hatte angefangen, als Mariza nicht mehr kam, da stand Rosa eines Morgens in der Tür zur Umkleide und sah auf mich. Von allen Mädchen im Raum nur auf mich, und ich dachte: Scheiße.
    Wenn sie ein Auge auf dich werfen, weil ihnen irgendwas an dir nicht passt, wenn sie beginnen, Geschmack daran zu finden, dich zu quälen, ist es vorbei. Dann können sie nicht mehr zurück, selbst wenn sie es wollten, keine Ahnung, warum, vielleicht ist das wie bei Kampfhunden, die verbeißen sich in etwas Lebendiges und lassen dann nicht mehr los, du kannst sie anschreien und wegzerren, wie du willst, am Ende hört es auf zu zucken und fällt schlaff zu Boden.
    Noch war es nicht so weit.
    Noch war Zeit, aber nicht mehr lange. Ich wusste, wie solche Sachen anfingen, und wie es dann weiterging. Wenn ich mich klug verhielt, konnte ich Rosa noch ein wenig hinhalten. Ein paar Tage. Vielleicht sogar ein paar Wochen. Wenn man den Job braucht, lernt man zu pokern. Aber man darf nie den Moment versäumen, an dem man noch passen kann.
    - - -
    Ich hatte die Taschenlampe gefunden und seufzte erleichtert.
    „Also, rufst du nun an oder nicht?“ Polly schien es ernst zu meinen.
    „Ich hab keine Ahnung, wovon du redest“, sagte ich leichthin, um sie abzulenken.
    Im dünnen Strahl der Lampe kontrollierte ich die Fenster. Die Pappe war fest, nichts hatte sich gelöst, keine Ritze, die klaffte. Ich zündete die Kerzen an.
    Die schrägen Wände kamen zum Vorschein. Mein Blick ging zur Wand, an der ein Spiegel lehnte. Die Kerzen spiegelten sich darin und verdoppelten das Licht. Ich hatte ihn, wie die Plastikstühle in der Küche, auf dem Dachboden gefunden. Bis auf eine abgeplatzte Ecke und einen kaum sichtbaren Sprung quer durchs Glas war er völlig in Ordnung. Er hatte einen schönen Rahmen, und nahm man es nicht so genau, verlieh er unserem Zuhause sogar einen Hauch Eleganz.
    Der Dachboden. Blitzlichthaft sah ich wieder das winzige, feindselige Gesicht, die glitzernden Augen im Schein der Taschenlampe. Dieses eilige, leise Geräusch, so erschreckend nah an meinen Händen. Eine Art Schleifen. Krallen, die übers Holz strichen. Das Wegtauchen ins Dunkel. Ich wischte mir übers Gesicht, wischte die Erinnerung weg.
    Polly schwang die Beine vom Sessel, stand auf und streckte sich. „Wie geht’s Vincent?“, flüsterte ich, dabei
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