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Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Titel: Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)
Autoren: Antje Wagner
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Schraubenzieher dafür.“
    „Und warum fragst du mich dann nicht? Nimm diesen. Und jetzt mach das sauber. – Wo willst du hin?“
    „Meine Handschuhe holen.“
    „Milana, bitte!“ Sie seufzte. „Du machst den ganzen Tag Dreck weg, jetzt erzähl mir nicht, dass dir das hier irgendwas ausmacht.“
    Sie lehnte sich an die Wand, während ich den Schwamm in den Spülkasten tunkte und anfing, den bräunlichen Wasserrand von den Innenwänden zu schrubben.
    „Bis ganz runter. Nicht so zimperlich.“ Sie betrachtete ihre Nägel.
    Im Zimmer nebenan piepte ein Wecker. Es war neun Uhr. Rosa sah mir eine Weile zu, verließ dann das Bad und ging in den Wohnraum. Als ich ihr schließlich folgte, stand sie vor dem geöffneten Fenster und winkte mich zu sich. „Fällt dir was auf?“
    Ich sah über die Stadt: Dächer, die vom morgendlichen Regen glitzerten, in den Straßen bewegten sich Schwärme farbiger Regenschirme. Rosa hielt sich am Fensterkreuz fest und lehnte sich weit hinaus. „Hier!“ Sie wies auf die Fensterbretter und Fensterrahmen. „Dreck, Mila.“
    „Aber die Fensterputzer …“ Ich biss mir auf die Lippen. Nicht widersprechen!
    „Du bist also eine von den Bequemen? Bloß keinen Handgriff zuviel?“ Sie setzte sich auf das frisch gemachte Bett. „Nimm deinen Schwamm.“
    Ich sah auf das offene Fenster und dann zu Rosa, wieder zu dem Fenster, und dann verlor ich den Mut. „Frau Mailand.“ Ich senkte den Blick. „Ich hab Höhenangst.“
    Als ich aufsah, lag auf ein Schimmer auf Rosas Gesicht, als hätte ihr jemand ein Kompliment gemacht. „Fang an.“
    - - -
    Und man fängt immer an. Es gibt keinen Ausweg. Aber jede von uns wusste, wie es endete: Das Mädchen war erledigt. Manchmal ging es von selbst, es kam einfach nicht mehr wieder, so wie Mariza. Rosa bevorzugte es jedoch, die Mädchen eigenhändig zu feuern. Das erforderte Zeit und Fingerspitzengefühl. Sie wollte die Ritzen in der Seele finden. Je versteckter sie waren, desto interessanter wurde es. Finden. Und hineinstechen.
    „Vielleicht bist du wirklich nicht geeignet, Milana. Das geht einfach zu langsam. Das Ganze noch einmal. Und zügiger!“ Diese Stimme. Von kränkender Beiläufigkeit.
    Es war jetzt eine Woche her, seit Rosa begonnen hatte, mich aufzubrauchen. Sie saß in meinem Rücken auf dem Sessel.
    Die Haare klebten mir auf der Stirn. Mein Gesicht fühlte sich verbrannt an. Die Tür stand halboffen, und auf dem Gang hörte ich Lins Trolley über den Teppich rollen, ihre leichten Schritte, ich hörte sie an eine Zimmertür klopfen und dann in ihrem hellen Akzent „Guten Morgen“ rufen.
    Das vierte Mal zog ich das gemachte Bett wieder ab und legte ein frisches Laken über die große Matratze. Wieder hielt ich es in beiden Händen und riss die Arme auseinander, um es faltenfrei auszubreiten und dann straff festzuspannen. Rosa räusperte sich hinter mir.
    Du bist stark, Rosa, dachte ich wütend, aber du kannst mir nichts anhaben, denn du kennst mich nicht. Niemand kennt mich! Mein Herz pochte wild. Ich stemmte die steinschwere Matratze hoch und presste das Fußende der Decke darunter. Meine Arme zitterten auffällig. Kein Wort fiel. Aber ich spürte Rosas Blick im Rücken, zwischen den Schulterblättern, wo sicher Schweiß durch den Stoff getreten war.
    Dieselben Symptome wie beim Verlieben.
    Wenn du aufgibst, bist du gefeuert. Und wenn du nicht auf ihre Provokationen reagierst, ahnen sie, dass etwas tiefer liegt. Etwas, das sich ihnen hartnäckig widersetzt. Es ist eine Sackgasse. Denn solange man keine klare Antwort gibt, bekommt die Beziehung keine Umrisse. Nur die Distanz wird spürbar. Dieser Umstand setzt sie unter Strom.
    Als ich die Matratze herabließ, flatterten meine Muskeln, und ich wehrte mich gegen den Impuls, mich ebenfalls sinken zu lassen. Mit geradem Rücken ging ich nach vorn und faltete am Kopfende einen kunstvollen Einstieg ins Bett. Geometrisch exakt, ein gestochen sauberer Knick. Die Kissen lagen genau zwei Zentimeter darüber. Dann sah ich zur Tagesdecke, die auf dem Sofa lag. Der Anblick deprimierte mich. Die Decke war zu schwer, zu groß und zu wenig nachgiebig. Ich war erschöpft.
    Das Licht im Zimmer war gelb und warm, Regen schlug leise gegen die Scheiben, Lin hatte das Radio im Nachbarzimmer angedreht. Mit einem Ruck hob ich die bleischwere Decke an und warf sie auf das gemachte Bett. Der Stoff war so störrisch, dass man ihn nur unter äußerster Kraftanstrengung in die korrekte Lage ziehen konnte.
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