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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
Autoren: Nora Melling
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Thursen legt den Kopf zurück und schnuppert in den Wind wie ein Tier. Ganz kurz nur, aber ich kenne ihn zu gut, um es zu übersehen. Ich versuche, auch etwas zu riechen, aber mir beißt nur die kalte Winterluft in die Nase.
    Dann läuft er weiter. Leichtfüßig folgt er dem Wildwechsel über den Maschendraht. Die Gläser in seinem Rucksack klirren, er dreht sich nicht um. Ich folge, versuche, mich nicht in den Drahtmaschen zu verfangen. Er ist schon weiter, ich kann kaum etwas sehen im Dämmerlicht.
    Da drängt sich Thursen zwischen die buschigen Fichten, die ihm kaum bis zur Schulter reichen. Er bückt sich und ist in dem Nadelgestrüpp verschwunden, als hätten die Bäume ihn verschluckt und mit ihm das Licht. Ich stakse hastig über die Grasbüschel, die, beschneit und vom Mondlicht beleuchtet, aus dem Boden gewachsen scheinen wie erstarrte Meereswellen. Lasse den Blick am Boden. Ich bin so viel langsamer ohne Licht.
    Höre plötzlich Thursens Schritte, schnell wie ein flüchtiges Tier. Als ich aufsehe, ist er schon direkt vor mir, leuchtet mir ins Gesicht.
    «Was ist denn?» Ich kneife die Augen zusammen. Greife in die beißende Helligkeit, bekomme etwas Hartes zu fassen und reiße ihm die Lampe aus der Hand. Noch vollkommen geblendet, fühle ich, wie er mich an den Schultern packt. Ich habe die Lampe umklammert und blinzele ins schwarze Nichts. Dann endlich haben sich meine Augen gewöhnt, und ich kann wieder etwas erkennen. Thursen sehe ich als Erstes, die dunklen Augen wie Nachtschatten in seinem Gesicht. Mein Blick rutscht an ihm ab, folgt dem Taschenlampenstrahl, den ich unwillkürlich in den Wald hineinschicke. Ein paar Meter hinter ihm, unter den Tannen hervor, ragen zwei Beine. Dunkle, verdrehte Hosenbeine mit klobigen Stiefeln an den Füßen. Das war es, was er gerochen hat.
    Darum sind wir hier.
    Im Wald liegt ein Mensch.

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    2. Elias
    Rings um den Potsdamer Platz sind die Straßen mal wieder verstopft. Zwischen den Hochhäusern schiebe ich mich von Ampel zu Ampel und würde viel lieber schnell fahren. Ich liebe die Geschwindigkeit. Auf meiner Uhr verticken die Sekunden, zerfließen die Minuten. Meter um Meter krieche ich vorwärts über den von dunklem Matsch bedeckten Asphalt und bin froh, dass mein Wagen außer dem Stoffdach auch ein Klappverdeck hat. Es ist so unglaublich kalt draußen.
    Dann endlich kann ich mich aus dem Autostrom ausfädeln und unter dem riesigen rot geklinkerten Gebäude in der Tiefgarage parken.
    Der Fahrstuhl, der mich bis hinauf in unser Büro in der 12. Etage bringt, soll der schnellste Europas sein. Ich genieße es, in Sekunden nach oben zu sausen. Als hätte ich Flügel.
    Kein Schild an der Tür zu unserem Büro, natürlich nicht. Einmal hat jemand das Bild einer Schlüsselblume angeheftet, sollte heißen: Hier residieren die, die den Schlüssel zum Himmel in Händen halten. Doch nach ein paar Wochen war es verschwunden. Wir hätten natürlich das Schild einer fiktiven Firma anbringen können. Doch das wäre genau genommen eine Lüge – und wir lügen nicht.
    Meine Schritte auf dem makellos weißen Marmorfußboden hallen, denn die Wände sind bis in halbe Höhe ebenfalls marmorverkleidet und halten den Schall gefangen. Darüber bedeckt zwischen angedeuteten Säulen feinkörniger Putz die Wände bis hinauf zur Decke.
    Ich habe nur noch wenige Minuten Zeit, dann werde ich in den Konferenzraum treten und den Rat, ebenjene Bewahrer des Himmelschlüssels, in seinen Grundfesten erschüttern.
    Jetzt.
    Josias öffnet mir die Tür und lässt mich ein ins Allerheiligste. Dann schließt der hagere Mann mit dem schütteren Haar die Tür hinter mir.
    Sie erwarten mich, sitzen im Halbkreis vor mir auf ihren samtgepolsterten Stühlen, kleine Tischchen neben sich, und sehen mich aufmerksam an.
    Ich darf nicht zögern. Meinen Laptop unter dem Arm, trete ich vor die versammelten Ratsmitglieder an den Rednertisch, den sie für mich aufgebaut haben. Es dauert einen Moment, bis meine vor Aufregung zitternden Hände den Laptop gestartet und mit dem Beamer verbunden haben.
    «Ich grüße den Rat des geheimen Ordens der Shinanim.» Ich verbeuge mich und verberge meine Hände für einen Moment hinter dem Rücken, damit niemand sieht, wie aufgeregt ich wirklich bin. Was jetzt kommt, wird mein Leben verändern. So oder so.
    «Sei uns willkommen, Elias», antworten sie.
    Sie kennen mich, haben von meinem sternschnuppengleichen Aufstieg gehört. Ich bin der jüngste
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