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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen
Autoren: Nora Melling
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näher, dass das Laub zu meinen Füßen verwirbelt. Soll ich zusehen, wenn sich Thursen und Norrock gegenseitig zerfleischen wie Kampfhunde? Ich bin drauf und dran, mit einem Knüppel dazwischenzugehen und sie zu trennen wie zwei räudige Straßenköter!
    Doch ehe Norrock ein zweites Mal angreifen kann, springt Rawuhn dazwischen. Geht auf Thursen zu und stellt sich steifbeinig und mit gesträubtem Pelz an seine Seite. Norrock knurrt sie beide an. Wendet seine giftgelben Wolfsaugen zu Zrrie. Ich erwarte, dass sie auch aufsteht, sich an Norrocks Seite stellt. Aber sie tut es nicht. Sie drückt sich winselnd zu Boden, die Ohren gesenkt. Wer aufsteht, ist der struppige Lurnak. Und er tut es, um sich an Thursens anderer Flanke aufzubauen.
    Da merkt Norrock offenbar, dass er verloren hat. Er wird stumm und gibt seine Angriffshaltung auf. Nach Wolfsart rollt er sich auf den Rücken und zeigt Thursen die Kehle. Die anderen Wölfe knurren leise. Thursen beugt sich vor, und Norrock leckt Thursen das Maul.
    Thursen, von einer Sekunde zur andern Mensch, kniet, steht auf und klopft sich die Blätter und Zweige vom Mantel. Wischt sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Dann streckt er Norrock die Hand hin.
    Auch Norrock verwandelt sich. Wird wieder zu dem breiten Mann in der Lederjacke. Nimmt die angebotene Hand und steht auch auf. Als er vor Thursen steht, reibt er sich den Nacken, klopft Thursen auf die Schulter, ruppig wie immer. «Du bist komplett durchgeknallt, Kumpel!», lacht er.
    Ich weiß nicht, ob die anderen darauf achten. Als Norrocks Hand ihn trifft, schließt Thursen einen winzigen Moment lang die Augen, beißt die Zähne zusammen undstöhnt auf. Wie stark hat Norrock ihn im Kampf getroffen? Er lässt es sich nicht anmerken, steht wieder da, stolz und aufrecht. Thursen ist Sieger. Seine Wölfe werden mir helfen. Thursen, der weiß, wie viel Sorgen ich mir um meine kleine Nachbarin mache, kommt mit aufmunterndem Lächeln auf mich zu. «Zeig uns jetzt Lottis Spur!», sagt er.
    Lottis Spur? Wie riecht Lotti für die feine Nase eines Wolfs? Mit Worten kann ich es ihnen nicht beschreiben. Für mich riecht sie, wie viele Kinder riechen. Nach frischer Luft und Schokolade und Kitzellachen und bunten Kleidern. Nach Fahrrad und Aprikosen. Manchmal süß und rosa vom Prinzessinnenspiel. Manchmal, an dunklen Kuscheltagen, riecht sie wohl eher nach Teddybär.
    Teddybär? Den Teddy, den sie mir für Zrrie mitgegeben hat, habe ich vergessen! Zerdrückt sitzt er ganz unten in meiner Jackentasche. Rührt sich nicht. Spricht nicht und verrät doch das Geheimnis von Lottis Duft. Hoffentlich.
    «Hier!», sage ich und halte ihnen den kleinen Bären mit spitzen Fingern entgegen. Ich will nicht zu viel mit meinem Geruch vermischen. «So riecht Lotti!»
    Norrock und Thursen verwandeln sich. Und auch die anderen Wölfe kommen ganz nah. Schnuppern, einer nach dem anderen. «Keks!», mault Norrock, als er sich zurückverwandelt. «Alles war überdeckt von deinen ekligen Keksen!»
    Ich sage nicht, was ich vom Geruch von rohem Fleisch halte, von dem er sich ernährt. Und von Leuten wie ihm, die Thursen herausfordern. Ich bin immer noch sauer auf Norrock, aber ich brauche seine Hilfe und halte den Mund.
    Norrock nickt dem Thursen-Wolf zu. «Wir müssen dahin, wo Lotti zuletzt war», sagt er.
    Sollen wir laufen? Dazu ist der Weg zu weit. Norrock meint, wir könnten ebenso gut die öffentlichen Verkehrsmittel nehmen. Obwohl wir mit so vielen «Hunden» Aufsehen erregen, als wir zur Turmstraße fahren. Dorthin, wo ich wohne und doch nicht zu Hause bin. Wo Lottis Lieblingsspielplatz ist. Der ganze U-Bahn -Wagen riecht schon nach den ersten paar Stationen nach Fell. Norrock, der als Einziger Mensch ist außer mir, spricht die Frau an, die am ungeniertesten zu uns hinstarrt. «Die sind klasse, was?», fragt er sie. «Reinrassige Wolfsspitze. Wir sind ein Hundeausführservice. Wenn Sie wollen, können wir vielleicht auch mal für Sie etwas tun?»
    «Ich habe aber doch gar keinen Hund.»
    «Na, so eine elegante Dame wie Sie sollte sich aber unbedingt einen anschaffen. Ist sicherer. Denken Sie mal darüber nach.» Norrock lacht sein kehliges Lachen, bei dem er selbst als Mensch klingt wie ein Wolf. Lacht noch, als wir aussteigen.
     
    Es riecht fremd hier. Das ist das Erste, was mir auffällt, als sich die Türen des U-Bahn -Waggons zischend hinter mir schließen. Nicht nur, dass es nicht nach Wald riecht, natürlich nicht. Es riecht überhaupt seltsam.
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