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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge
Autoren: Nina Blazon
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mit einer Spur von Kühle. »Warum? Ist das wichtig?« Sie spürt es , dachte Zoë. Sie muss spüren, dass ich Angst habe.
    »Was ist mit der Polizei?«, fragte sie weiter. »Was, wenn euch jemand auf die Spur kommt?«
    »Das können sie nicht«, erwiderte Frau Thalis. »Für die Beseitigung haben wir Leute, nach deren DNA-Rastern die Polizei nicht gezielt fahnden kann, weil sie offiziell gar nicht existieren. Man kann feststellen, dass es immer derselbe Mörder war, aber man wird ihn niemals finden. Denn die einzigen ›Existenzen‹ des Rudels haben eine weiße Weste. Kein Mensch wird ihren Fingerabdruck jemals an einem Tatort finden. Einfaches Prinzip.«
    Draußen schlug ein Kofferraumdeckel mit einem satten Schnappen zu. Zoë zuckte zusammen. Die anderen! Sie kommen ins Haus! Jetzt begann ihr Herz noch mehr zu rasen. Ich muss hier raus! Sofort! , dachte sie. Und: Bitte lass ihnen Gil nicht in die Fänge laufen. Fieberhaft versuchte sie abzuschätzen, wie groß ihre Chance war, zur Tür zu kommen, doch dann fiel ihr Blick auf die Treppe. Klettern.
    Die angelehnte Terrassentür klappte, Einkaufstüten raschelten, Schritte näherten sich. Frau Thalis’ Schatten wandte den Kopf mit den kräftigen Kiefern zur Seite und richtete seine Aufmerksamkeit für einen Moment auf die Geräusche. Zoë reagierte blitzartig. In der nächsten Sekunde war sie schon mitten auf der Treppe. Ein empörter Laut hinter ihr, ein Ruf, dann war Frau Thalis ihr schon auf den Fersen. Zoë biss die Zähne zusammen und ließ sich ganz und gar in den Schatten fallen. Staub wirbelte auf den Dielen auf, als sie über einen Flur stürzte, die schabenden und klackenden Krallen der Hyänenpfoten viel zu dicht hinter sich. Drei Türen, doch nur unter einer spürte sie einen Luftzug. Sie stürzte in ein leer geräumtes Zimmer, in dem nur einige klobige, kaputte Stühle standen, und erfasste mit einem Blick ihre einzige Fluchtmöglichkeit: ein zugiges Altbaufenster. Und dahinter, einige Meter entfernt, die erst leicht begrünten Äste einer Birke, die als einziger Baum den Innenhof schmückte. Ein Spreißel fuhr ihr in die Handfläche, als sie im Rennen einen Stuhl vom Boden hochriss, doch sie empfand den Schmerz nicht. Sie nutzte den Schwung des Laufens, holte aus und schleuderte den Stuhl mit voller Wucht gegen das geschlossene Fenster. Das grelle Splittern spürte sie wie Dolchstiche im Ohr. Doch sie holte alles aus ihren Muskeln heraus und hechtete mit einem Riesensatz durch das zertrümmerte Fenster. Scherben streiften ihr Schienbein, dann flog sie dem Baum entgegen. Der Aufprall war hart und drückte ihr alle Luft aus den Lungen. Die Sonne blendete sie für einige Sekunden. Ihre Schultergelenke schmerzten vom plötzlichen Ruck und der Himmel wirbelte über ihr, als die Baumkrone ins Schaukeln geriet.
    Sie erkannte Frau Thalis am Fenster, ihr wutverzerrtes Gesicht und daneben das zähnefletschende Maul der Hyäne. Nur ganz kurz verspürte Zoë das Aufblitzen eines irrwitzigen, rasenden Triumphs. Sie kann mir nicht folgen!
    »Schade«, sagte Frau Thalis mit kalter Verachtung. »Das war’s dann wohl mit uns.« Sie holte nicht einmal Luft, sondern bellte im selben Atemzug scharf in den Hof hinunter: »Carla!«
     
    Es dauerte zu lange. Ich verfluchte mich dafür, dass ich Zoë hatte gehen lassen, und gleichzeitig war ich wütend auf sie. Nach einer Ewigkeit von drei Minuten hatte ich genug. Ein letztes Mal blickte ich auf die Straße, gab Irves auf dem Dach des Schlachthofs ein Zeichen und machte mich dann auf den Weg zum Hofdurchgang. Ich horchte auf, als ich eine Autotür zufallen hörte. Gizmo? Nein, die Türen seines Wagens klangen dumpfer und schnappten nicht so weich ein. Beunruhigt begann ich zu rennen. Keinen Moment zu früh. Noch nie hatte mich ein Geräusch so tief ins Herz getroffen wie das Splittern von Glas, das mich mit einem Mal überrollte. Tausend Bilder von Zoë flatterten an meinem Auge vorbei –tausend schreckliche Szenarien, was ihr passiert sein könnte. »Carla!«, ein schneidender Ruf – dann Zoës Schrei auf der anderen Seite des Hauses. Meine Hände fanden von selbst ihren Weg, der Schatten brachte mich aufs Dach des Hauses (zwei Stockwerke) und trieb mich auf die andere Seite.
    Erst glaubte ich, einen Blitz zu sehen, doch es war nur die Nachmittagssonne, die von dem Dach eines hellen Geländewagens reflektiert wurde. Zwei Einkaufstüten lagen auf dem Kies – umgefallen, als hätte sie jemand einfach fallen
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