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Schatten über Oxford

Titel: Schatten über Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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dabei zu Papier gebracht, was mir gerade durch den Kopf ging, ohne dabei eine Ordnung einzuhalten. Aber Sie sind Schriftstellerin. Sie werden daraus schon schlau werden!«
     
    Kate rief Roz an und traf sich mit ihr im Pub an der Ecke.
    »Ich bin heilfroh, dass du fährst«, seufzte sie. »Ich brauche jetzt nämlich einen großen Gin Tonic.«
    »Hast du erfahren, was du wissen wolltest?«
    »Ich nehme es an. Allerdings muss ich zunächst seine Lebensbeichte lesen.«
    »Dann möchtest du also sofort nach Hause, nachdem du deinen Gin getrunken hast?«
    »Und zwar in die Agatha Street. Ich möchte Alans Tagebuch nicht in High Corner lesen. Lieber bei mir zu Hause.«
     
    Kate kuschelte sich auf ihr Lieblingssofa. Aus der Nachbarschaft drang kein Laut zu ihr herüber. Offenbar waren die Fosters für ein paar Tage weggefahren. Roz hatte ihr ein Glas Sauvignon Blanc eingeschenkt und sich dann in ihr eigenes Zimmer zurückgezogen.
     
    Immer noch frage ich mich , ob ich nicht hätte bemerken müssen , worauf sie hinauswollte . Bin ich deshalb mitverantwortlich für das , was geschah?
    Der Gedanke bedrückt mich vor allem während der langen schlaflosen Nachtstunden …

Dritter Teil
London und Oxford 1945

1
    Als ich nach meinem Besuch in High Corner den Bahnhof erreichte, war es bereits dunkel. Der Bahnsteig wimmelte vor Menschen, die alle aussahen, als warteten sie schon eine geraume Weile auf den Zug nach London. Eine Viertelstunde später fuhr er ein, und ich brachte es fertig, in einem überfüllten Abteil einen Sitzplatz zu ergattern. Der Schaffner hatte die Rollos hinuntergezogen; man kam sich richtig eingesperrt vor. Als die Tür des Waggons mit einem dumpfen Schlag hinter mir zufiel, konnte ich mir fast vorstellen, dass jemand auch den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte. Wie ich dieses Geräusch hasse! Ich will dann nur noch schreien – aus tiefster Seele schreien – und niemals mehr aufhören. In Wahrheit war das auch der Grund, warum ich mich bisher nicht nach Oxford getraut hatte. Kälte und Unbequemlichkeit machten mir nichts aus, wohl aber das Gefühl, eingesperrt zu werden. Ich schloss die Augen und versuchte zu schlafen, während der Zug Kilometer um Kilometer durch die schwarze Landschaft ratterte.
    Als wir die Vororte von London erreichten, konnte ich die Sperrballons nur erraten, die wie aufgeblähte, silberne Schweine am dunklen Nachthimmel hingen. Hingegen war das gedämpfte, stotternde Dröhnen eines Flugzeugmotors gut zu hören. Inzwischen kamen so viele Maschinen, dass man sich nicht mehr die Mühe machte, jedes Mal Fliegeralarm auszulösen.
    Die leisen Gespräche verstummten kurz und begannen dann wieder von neuem. Der Zug verlangsamte sein Tempo, blieb stehen und fuhr wieder an, als wolle er den Bomben ausweichen.
    Die Gespräche wurden lauter. Ein Mann sprach mich an und versuchte, mich einzubeziehen.
    »Manchmal hat man Glück …«, sagte jemand.
    Uns schien es beschieden, doch ein paar arme Kerle muss es wohl erwischt haben. Jedenfalls hörten wir einen donnernden Einschlag zu unserer Rechten. Wer weiß, was ich vorfinden würde, wenn ich in die Reckitt Street zurückkehrte. Vielleicht nur noch einen Schutthaufen. Kein Haus. Keine Sheila. Mein ganzes bisheriges Leben wäre für immer verschwunden.
    Einen Augenblick lang erschien mir die Aussicht, ohne jeden Ballast noch einmal von vorn anfangen zu dürfen, als ungeheuer verlockend.
    Der Zug fuhr ruckend wieder an. Ein Gepäckstück fiel aus dem Netz und verursachte mir eine Platzwunde am Kopf.
    »Alles okay, Kumpel?«, fragte jemand.
    »Geht schon.«
    Ich glaube, dieser kurze Gedankenaustausch resümierte mein Leben.
     
    Auf dem Heimweg sah ich durch ein erleuchtetes Fenster ein Mädchen. Sie kauerte vor einem Tisch auf der Stuhlkante. Ihr Haar war nicht hochgesteckt, sondern hing ihr lose ins Gesicht, und sie trug ein blaues Kleid. Das Mädchen weinte bitterlich. Ich weiß, ich hätte stehen bleiben sollen. Ich hätte anklopfen und sie fragen sollen, was geschehen war und ob ich ihr helfen könne. Ich sah die Szene völlig klar. Da erst fiel mir auf, dass das Haus keine einzige Fensterscheibe mehr besaß. Wenn man genau hinsah, konnte man noch ein paar Splitter erkennen, die in den Fensterrahmen steckten.
    Ich hörte jemanden – vermutlich den Vater des Mädchens – aus dem Hintergrund des Zimmers schimpfen.
    »Nun reg dich nicht so auf«, polterte er. »Tu einfach, was ich dir sage.«
    Doch das Mädchen hörte nicht zu. Ohnehin machte
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