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Schatten ueber Innsmouth

Schatten ueber Innsmouth

Titel: Schatten ueber Innsmouth
Autoren: H. P. Lovecraft
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schlimmste Schock traf mich, als mein Onkel mir die Juwelen der Ornes in einem Safe drunten in der Stadt zeigte. Manche der Stücke waren höchst kunstvoll gearbeitet und von begeisternder Schönheit, aber außerdem war da eine Kassette, die von meiner geheimnisvollen Urgroßmutter stammte und die mein Onkel nur widerwillig hervorholte. Diese Juwelen, so sagte er mir, seien äußerst grotesk und beinahe abstoßend und seines Wissens nie in der Öffentlichkeit getragen worden, wiewohl meine Großmutter sie gerne angeschaut habe. Dunkle Legenden rankten sich um sie, und die französische Gouvernante meiner Urgroßmutter habe gesagt, man solle sie in Neuengland nicht anlegen, obwohl man sie in Europa ohne weiteres tragen könne.
    Während mein Onkel langsam und widerwillig die Schmuckstücke auszuwickeln begann, beschwor er mich, nicht über ihre sonderbaren und oft auch
    furchteinflößenden Formen zu erschrecken. Künstler und Archäologen, denen man sie vorgelegt habe, hätten sie einmütig als Beispiele höchster Kunstfertigkeit und erlesener Exotik gerühmt, doch anscheinend sei niemand in der Lage gewesen, ihr Material genau zu bestimmen oder sie irgendeiner bestimmten Kunstepoche zuzuordnen. Zum Vorschein kamen zwei Armreife, eine Tiara und eine Art Brustschmuck; der letztere war mit Figuren in Hochrelief verziert, die beinahe unerträglich befremdend waren.
    Während seiner Beschreibung hatte ich meine Gefühle unter Kontrolle gehalten, doch mein Gesicht muß meine wachsende Angst verraten haben. Mein Onkel sah besorgt aus und hielt mit dem Auswickeln inne, um mich prüfend anzuschauen. Ich bedeutete ihm, er solle weitermachen, was er nur nach neuerlichem Zögern tat. Er schien auf irgendeine Äußerung meinerseits gefaßt zu sein, als das erste Stück eine Tiara sichtbar wurde, doch ich bezweifle, ob er auch auf das gefaßt war, was sich wirklich ereignete. Ich selbst war genausowenig darauf vorbereitet, denn ich hatte mir ganz bestimmte, aber falsche Vorstellungen vom Aussehen der Juwelen gemacht. Als es soweit war, fiel ich auf der Stelle in Ohnmacht, genau wie ein Jahr zuvor in jenem mit Gestrüpp zugewachsenen Bahndurchstich.
    Seit diesem Tag ist mein Leben ein von ängstlichem Grübeln erfüllter Alptraum, und ich weiß nicht einmal, wieviel davon schreckliche Wahrheit und wieviel schierer Wahnsinn ist. Meine Urgroßmutter war eine Marsh gewesen, deren Eltern niemand kannte und deren Ehemann in Arkham lebte — und hatte nicht der alte Zadok gesagt, die Tochter, die Obed Marsh von einer monströsen Frau gehabt habe, sei an einen ahnungslosen Mann aus Arkham verheiratet worden? Was hatte der betagte Zecher von der Ähnlichkeit meiner Augen mit denen des Kapitäns Obed gefaselt? Auch in Arkham hatte mir der Kustos gesagt, ich hätte die charakteristischen Augen der Marshes. War Obed Marsh mein eigener Ururgroßvater? Wer oder was war dann meine Ururgroßmutter? Aber vielleicht war all das nur Wahnsinn. Dieses weißlich-goldene Geschmeide konnte ohne weiteres der Vater meiner Urgroßmutter, wer immer er gewesen sein mochte, von irgendeinem Seemann aus Innsmouth gekauft haben. Und dieser Ausdruck auf den starräugigen Gesichtern meiner Großmutter und des Onkels, der sich selbst umgebracht hatte, konnte reine Einbildung meinerseits sein reine Einbildung, noch zusätzlich angefacht durch jenen Schatten über Innsmouth, der seither meine ganze Vorstellungswelt verfinsterte. Aber warum hatte mein Onkel sich umgebracht, nachdem er in Neuengland Familienforschung betrieben hatte?
    Über zwei Jahre lang kämpfte ich mit wechselndem Erfolg gegen diese
    Überlegungen an, Mein Vater besorgte mir eine Stellung in einem Versicherungsbüro,
    und ich vergrub mich, so tief ich konnte, in Routinearbeiten. Doch im Winter 1930-31 begannen die Träume. Sie waren zunächst nur sehr verschwommen und
    heimtückisch, wurden aber in den folgenden Wochen immer häufiger und deutlicher. Große Räume unter Wasser taten sich vor mir auf, und ich glaubte durch titanische versunkene Säulenhallen und Labyrinthe mit zyklopischen, überwucherten Mauern zu wandern, begleitet von grotesken Fischen. Dann begannen die anderen Gestalten aufzutauchen, die mich im Augenblick des Erwachens mit unsagbarem Grauen erfüllten. Doch im Traum erschrak ich überhaupt nicht vor ihnen — ich war eins mit ihnen, trug ihr unmenschliches Geschmeide, beschritt ihre Wege tief unten im Wasser und verrichtete monströse Gebete in ihren unheilschwangeren Tempeln
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