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Scharade der Liebe

Titel: Scharade der Liebe
Autoren: Catherine Coulter
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gehört hatte und nicht diesem Bastard, diesem Mann, den ihre Mutter nach dem Tod ihres Vaters geheiratet hatte. Es war ein hübscher Besitz. Und jetzt gehörte Carlisle Manor ihm, und keiner konnte etwas dagegen tun.
    Mit ein bisschen Glück würde niemand vor morgen früh ihr Verschwinden bemerken. Es sei denn, er käme zurück, um ihr wieder die Hände zu fesseln. Dann würde alles schwieriger sein.
    Zumindest war Georgie weit weg, in York, und würde vor der Wut ihres Stiefvaters in Sicherheit sein, wenn er entdeckte, dass seine Taube aus dem Käfig geflohen war.
    Seine Taube wusste auch, wo sie hingehen musste.

2
    St.-Cyre-Stadthaus London 2. April
    »Mylord.«
    »Sei leise, Quincy«, sagte Gray, ohne die Augen zu öffnen. »Eleanor schläft.«
    Quincy warf einen Blick auf die schlanke Eleanor und senkte seine Stimme zu einem Flüstern, das allerdings wohl nicht leise genug war, da Eleanor die Augen öffnete und ihn finster anblickte. »Ihr müsst unbedingt in den Salon kommen, Mylord. Ihr habt Besuch.«
    Der Baron strich leicht über Eleanors Rücken, tätschelte ihren Kopf und fuhr mit seinen Fingern über ihr Kinn, wobei sie sich ihm entgegenstreckte, dann erhob er sich. Eleanor hob den Kopf, blinzelte ihn an und legte sich dann wieder hin.
    »Sie schläft noch«, sagte Gray. »Das macht sie manchmal, ist dir das auch schon aufgefallen? Sie sieht dir genau in die Augen, und dann schläft sie wieder ein. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt aufwacht. Nun, es ist sehr früh für Besucher. Wer ist es denn?«
    »Eure beiden Großtanten, Mylord.« Quincy betrachtete die schlafende Eleanor. Er hätte schwören können, dass sie hellwach gewesen war, als sie ihn hörte.
    »Welche Großtanten?«
    »Nach dem, was Miss Maude sagt, sind sie die Tanten Eurer Mutter.«
    Gray war aufrichtig überrascht. Er erinnerte sich zwar an sie, aber es war lange her, viel zu lange ... Als sie zum letzten Mal zu Besuch gekommen waren, war er ein kleiner Junge gewesen, vielleicht sieben Jahre alt.
    Er blickte auf den weichen, hellbraunen Ledersessel, den seine Mutter so geliebt hatte. Er sah sie immer noch vor sich, wie sie mit der Handfläche leicht über den Sitz strich. Seltsam, dass er sich daran erinnerte, denn sie waren selten hier in London gewesen.
    »Diese alten Damen ... ich habe seit Jahren nichts von ihnen gehört. Was mag da wohl los sein?« Seine Mutter war ein Einzelkind gewesen - jammerschade, hatte Gray oft gedacht. Wenn sie vielleicht einen Bruder gehabt hätte, dann hätte er sie beschützen können; ihr Vater war im Kolonialkrieg an einem Ort namens Trenton gefallen, und kein Mann hatte ihr zur Seite gestanden. Nur ihr Sohn, damals noch ein sehr kleiner Junge, der sie auch nicht hatte retten können, bis er zwölf war.
    Er schüttelte den Kopf. Alte Erinnerungen, Erinnerungen, die besser begraben bleiben sollten, da es jetzt sowieso zu spät war, um noch etwas zu tun.
    Vor zwei Stunden hatte Gray gefrühstückt und ein wenig in seiner Bibliothek gearbeitet, nur in Gesellschaft seiner stolzen Eleanor. Er reckte sich und ging in den vorderen Teil des Hauses. Das St.-Cyre-Stadthaus stand am Portman Square. Die Fenster des Salons gingen auf den Park auf der anderen Straßenseite.
    Es war ein grauer, trüber Morgen, die Luft war kühl und feucht. Heute war der 2. April, und von der Sonne war nichts zu sehen - allerdings erwartete man das in London auch gar nicht.
    Als er durch die Doppeltüren den Salon betrat, verkündete Quincy mit seiner näselnden Stimme: »Lord Cliffe.« Abrupt blieb er stehen.
    Mitten im Zimmer standen zwei alte Damen, eingehüllt in Schals, Hauben, Umhänge und Handschuhe, und starrten ihn an, als sei er der Teufel in Person.
    »Ihr seid meine Großtanten?«, fragte Gray, während er freundlich lächelnd auf sie zutrat. Der heutige Tag, der so langweilig angefangen hatte, versprach auf einmal besonders zu werden.
    Eine der beiden alten Damen trat vor. Sie war größer als die meisten Frauen, die er kannte, dünn wie eine Bohnenstange, mit einem langen, schmalen Gesicht und einer vertrockneten, leicht gelblichen Haut wie altes Pergament. Sie sah uralt aus, aber ihr Gang war federnd und ihr Gesichtsausdruck entschlossen.
    »Wir brauchen deine Hilfe«, sagte sie mit einer leisen, schönen Stimme. Sie hatte einen sehr langen Hals und einen hübschen Mund, in dem sich immer noch all ihre Zähne befanden, wie er sehen konnte. Er verbeugte sich und wartete, aber die alte Dame blickte ihn nur an und
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