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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib
Autoren: Claudia Weiss
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den Launen ihrer Herrschaften ehrlich und anständig ihr Brot verdienen? Bisher hatte sie bloß erlebt, dass ein jeder versuchte, sie auszunutzen und für seine persönlichen Bedürfnisse zu missbrauchen, wo es nur ging. Müde und einsam ging sie über den kleinen Markt nahe dem Haus ihres letzten Dienstherrn. Wieder war sie ohne Stellung und fast ohne Geld, ohne eine Familie, die ihr den Lebensunterhalt sicherte, ohne Halt und nur knapp der Ehrlosigkeit entkommen. Sie musste einen Ausweg finden, um nicht in der Spinnerei des Armenhauses oder als Dirne zu enden. Sie brauchte einen Mann, der für sie sorgte.
    Für Männer war das Leben so viel leichter. Niemand wollte ihnen an die Wäsche, überall gab es Arbeit für sie. Männer durften selbst bestimmen, was sie tun und was sie lassen wollten. Und wenn es darauf ankam, konnten sie ihre Ehre mit Wort und Faust verteidigen. Doch woher sollte sie einen Mann nehmen, der sie nicht gleich selbst nehmen wollte? Einen, der sie respektierte, ihr ein Kamerad war, wie der Vater Kameraden hatte, auf die er zählen konnte, wenn es darauf ankam. Ach, wäre ihr Bruder, der kleine Hinrich, nicht so früh gestorben, er wäre ihr ein Kamerad und würde für sie sorgen. Wie einfach war doch das Leben als Kind gewesen, als sie wie ein kleiner Junge auf den Knien ihres Vaters reiten durfte, als sie sich mit den anderen Kindern in der Garnison raufen konnte, wenn ihr etwas nicht passte.
    Ilsabes Blick blieb an einer alten dürren Frau hängen, die am Rand des Marktes ein paar Männerkleider verkaufte. Abgetragen und ärmlich sahen sie aus, der Rock hatte schon einen Flicken auf dem Ärmel. Da durchfuhr es Ilsabe. Mit ihren großen Händen strich sie sich die schmalen Hüften entlang den weiten Rock glatt. Die Leute sahen doch nur, was man ihnen zeigte. Als kleines Kind, das noch die kurzen Hosen der Nachbarjungen auftragen durfte, hatten die Höker , die zur Garnison kamen, sie oft für einen Jungen gehalten, tobte sie doch genauso wild und ungestüm wie jene. Erst als die Schwester sie beizeiten in Rock und Schürze zwang, wurde Ilsabe für die Leute zum Mädchen. Hier auf dem Markt wusste sie mit einem Mal, wo sie den Kameraden fand, den sie für ihr Überleben brauchte. Er war in ihr, war all die Jahre lediglich unter der Schürze verborgen geblieben. Sie musste ihm nur die passenden Kleider besorgen, dann käme er wieder hervor.
    »Sagt, Alte, was wollt Ihr haben für den Fetzen von Rock, der da hängt?«
    »Nun, sechs Groschen sollte er dir schon wert sein, mein Kind.«
    »Sechs Groschen? Ich geb Euch vier und außerdem mein Tuch, wenn Ihr noch eine Hose draufpackt. Es ist für meinen Bruder, wisst Ihr. In die Höhe geschossen ist er, sodass nichts mehr passen will. Und dabei ist die Ernte noch nicht eingebracht und die Kasse leer.«
    »Wie groß ist er denn, dein Bruder?«
    »So wie ich etwa, doch bald spuckt er mir bestimmt schon auf den Kopf.«
    Die Alte wühlte aus ihrem Korb eine dunkle Kniebundhose hervor und hielt sie Ilsabe prüfend an die Taille. »Für fünf Groschen und das Tuch ist beides deins.«
    Ilsabe überlegte nicht lange. Hastig kramte sie das Geld aus dem kleinen Beutel hervor, der unter ihrer Schürze hing, nahm das Tuch von den Schultern und tauschte beides mit der Alten gegen Rock und Hose. Sie schnürte die Kleider zu einem kleinen Bündel zusammen und eilte zügig durch eine schmale Seitengasse fort.
    Eine halbe Stunde später kam ein junger Bursche am Stand der Alten vorbei. Sein blondes Haar war zu einem lässigen Zopf gebunden, sein Blick klebte am Boden, die Hände hatte er in den Taschen seiner Jacke vergraben. Sogleich erkannte die Alte Rock und Hose wieder, die sie der jungen Frau verkauft hatte.
    »He, Junge«, rief sie ihm nach, »du hast aber Glück, dass dir deine Schwester ein paar neue Sachen gekauft hat. Das tut nicht jede.«
    Verstohlen warf der Bursche ihr einen scheuen Blick zu.
    »Siehst deiner Schwester aber auch wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich. Darum hat sie dir wohl so ein großzügiges Geschenk gemacht.«
    Der junge Mann wandte sich schnell ab und verschwand im Gewühl der Menschen.
    Am Weserufer war eine lange Reihe Lastkähne und Ewer vertäut, die täglich die Waren vom Land in die Stadt brachten. Ein paar Männer standen neben ihnen am Kai und priemten .
    »Sagt, Leute, gibt’s hier wohl Arbeit für einen tüchtigen Burschen?«
    Ein kräftiger Kerl, dem der Bauch über die Hose hing, musterte den jungen Mann mit
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