Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
spürte Viktoria einen harten Gegenstand in ihrem Rücken, und eine dunkle Stimme raunte Leonid zu. »Bei der nächsten Station bitte aussteigen, oder ich erschieße das Mäuschen. Wäre doch schade um sie!«
Viktoria drehte sich langsam um. Es war Mischa. Einer von Bashtiris Männern, den sie im Camp – ähnlich wie Kolja – fälschlicherweise für einen harmlosen Burschen gehalten hatte. Leonid starrte ihm einen langen Moment in die eng zusammenstehenden Augen, und zu Viktorias grenzenloser Überraschung ließ Mischa plötzlich die Waffe |468| sinken. Blitzschnell hatte Leonid ihn entwaffnet. Ajaci biss den Killer obendrein in die Wade. Frauen schrien, als sie die Pistole sahen, und Männer wichen entsetzt zur Seite, als Leonid dem keifenden, viel kleineren Kerl den Pistolenknauf über den Schädel zog. Während Ajaci mit steigender Begeisterung dessen Bein traktierte, schlug Leonid noch einmal zu, um ganz sicherzugehen, dass Mischa bewusstlos am Boden des Zuges liegen blieb.
»Sie haben ihn umgebracht!«, kreischte eine Frau.
»Moment mal!«, rief ein älterer Fahrgast und riss seine Zeitung hoch. »Das sind doch die, nach denen hier gesucht wird!«
»Halt’s Maul, Alterchen!« Leonid bedrohte ihn halb verdeckt mit Mischas Waffe. Jegliche Freundlichkeit war aus seinem Gesicht gewichen, und für einen Moment fragte sich Viktoria, ob es tatsächlich der Leonid war, den sie zu kennen glaubte.
»Ochotny Rjad«, erklärte die mechanische Stimme aus dem Lautsprecher.
Leonid reagierte blitzschnell. Er riss Viktoria mit sich, gab dem Hund einen Stoß und sprang aus dem Zug. Dann rannte er mit ihr an der Hand auf den nächsten Bahnsteig, der ein Stockwerk tiefer lag. Hier jedoch schien ein Heer von Polizisten alarmiert worden zu sein, das geradewegs auf sie zusteuerte.
Leonid sprang mit Viktoria von der Plattform und lief mit ihr über die Gleise. Niemand traute sich, ihnen zu folgen. Viktoria verlor erneut ihre Schuhe. Barfuß folgte sie Leonid in die Dunkelheit. Dass die Sache lebensgefährlich war, begriff sie spätestens, als ihnen aus einem stockfinsteren Tunnel eine Metro mit riesigen Scheinwerfern entgegenraste. Im letzten Moment wurde Viktoria von Leonid gepackt und zusammen mit Ajaci in eine Nische gestoßen. Schwer atmend und mit ausgebreiteten Armen blieb er vor ihnen stehen, während im Abstand von einem halben Meter der Zug an ihnen vorbeiraste. Zitternd folgte Viktoria ihm im Schutz des letzten Waggons auf den Bahnsteig. Hunderte von Menschen stiegen aus und wechselten die Züge. Leonid schob Viktoria und den völlig verstörten Hund in das letzte Abteil. Dort fanden sie sogar einen Sitzplatz. Er zog Viktoria auf seinen Schoß und umarmte sie fest. Sie klammerte sich regelrecht an ihn und verbarg ihr Gesicht an seiner pulsierenden Halsbeuge, während ihr |469| Herz im gleichen Takt dahinraste. Den Hund dirigierte er zwischen seine Beine, wo er ganz ruhig sitzen blieb.
»Sie werden uns finden, nicht wahr?« Ihr Flüstern war atemlos.
»Sei ganz still und vertrau mir«, sagte er leise. »Ich muss mich nur konzentrieren.«
Was er genau tat, wusste sie nicht, aber es war wie damals in dem Bunker. Plötzlich fühlte sie sich seltsam körperlos, und als der Trupp von Polizisten vorbeimarschierte, war es, als würden die Männer sie nicht sehen. Selbst als sie Fotos herumzeigten, auf denen ihre Gesichter eindeutig zu erkennen waren, reagierten die übrigen Fahrgäste nicht. Viktoria erschien es, als ob sie für die Umgebung unsichtbar geworden wären.
»Was war das?«, flüsterte sie, als die Polizisten den Zug wieder verlassen hatten. »Warum wollten sie nichts von uns wissen?«
»Ein Geheimnis der alten Schamanen«, raunte Leonid lächelnd.
Sie küsste ihn sanft, und für einen Moment gewann sie die Überzeugung, in seinen Armen in absoluter Sicherheit zu sein.
Erst als sie an der Kiewskaja ausstiegen, richtete sich die Aufmerksamkeit der übrigen Fahrgäste wieder auf sie, doch bevor jemand auf die Idee kommen konnte, in ihnen den flüchtenden Terroristen und seine Geisel zu erkennen, waren sie bereits ausgestiegen.
»Ganz in der Nähe fließt die Moskwa«, erklärte Leonid, als sie sich aus einem Gewirr von Tunneln und Treppen an die Oberfläche kämpften. Immer wieder schaute er sich um. »Lass uns ein Wassertaxi nehmen. Nicht weit von der Metrostation gibt es einen Bootsanleger.«
»Sie sind an der Kiewskaja-Metrostation ausgestiegen«, rief Fjodor in sein Mobiltelefon. Er saß im
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