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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose
Autoren: Nancy Kress
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letzterer
nicht traute. Armstrong schwebte anmutig hinter dem großen
Chirurgen und lächelte unaufhörlich.
    »Die operative Erschließung früherer Leben
ist neu in diesem Jahrhundert, aber sie ist bereits weit
über ihre Anfänge hinaus. Die Komplikationsrate ist die
niedrigste von allen beliebigen Kopfoperationen. Es ist sicherer
für Sie, Ihre Erinnerungen zu erschließen, als Ihre
Augen auf Dauer für Nachtsicht aufzurüsten.«
    Das Publikum kicherte höflich. »Ganz zu schweigen
davon, sich den Hintern runderneuern zu lassen«, sagte
Robbie leise.
    Irgendwo außerhalb des Raums schlug eine Tür sehr
heftig zu. Caroline wandte sich auf ihrem Stuhl um, aber es war
nichts zu sehen.
    »Hat noch jemand irgendwelche Fragen?« sagte
Park.
    Die dicke Frau mit den roten Rüschen erkundigte sich
ängstlich: »Wird die Operation weh tun?«
    »Ich bin sicher, Ihr Arzt hat das bereits mit Ihnen
besprochen. Während der Operation selbst sind Sie
natürlich unter Narkose. Hinterher werden Sie leichte
Kopfschmerzen haben, aber der Eingriff wird an einer Stelle
vorgenommen, wo nur wenige sensible Nervenenden sitzen. Die
medikamentöse Behandlung wird mit den Beschwerden
mühelos fertig.«
    »Warum müssen wir dann einen ganzen Monat im
Institut bleiben?« fragte ein Mann.
    »Wegen dem Geld von der Versicherung«, murmelte
Robbie im selben Moment, als sich Dr. Armstrong geschickt nach
vorn schob. Eine PR-Frage, erkannte Caroline.
    »Oh – die Frage selbst zeigt, wie viele Horizonte,
die Ihnen jetzt noch verschlossen sind, der Eingriff
eröffnen wird! Der einmonatige Aufenthalt dient
natürlich zum Teil Ihrer vollständigen Genesung nach
der Operation. Aber in erster Line – in erster Linie
– soll er Ihnen die bestmögliche Orientierung in
bezug auf Ihre erweiterte Persönlichkeit geben. Ausgebildete
Wissenschaftler werden Ihnen helfen zu lernen, wie Sie sich
Zugang zu Ihren Erinnerungen verschaffen – Sie wissen ja
alle aus Ihren präoperativen Besprechungen, daß der
Prozeß nicht automatisch abläuft. Psychologen werden
Ihnen zu interpretieren helfen, was Sie erfahren;
Computerfachleute werden Sie im OEFL-Datennetz unterweisen;
Historiker werden Ihre neuen Erinnerungen zeitlich und
räumlich für Sie einordnen. Das Institut steht bereit,
Ihnen auf jede nur mögliche Weise zu helfen.«
    Noch mehr PR; jeder, der nicht in einem hermetisch
abgeschlossenen Versteck lebte, wußte das alles aus
unzähligen Fernsehsendungen und Datennetz-Darstellungen. Die
Erinnerungen aus früheren Leben brachen nicht sofort
über die Karnies herein; jede mußte als Reaktion auf
einen Gegenstand, einen Geruch, ein Geräusch, ein Erlebnis
in diesem Leben heraufbeschworen werden. Es gab keinen anderen
Weg in die Vergangenheit als durch die Gegenwart hindurch, dachte
Caroline sardonisch. Wirklich schade.
    Dr. Armstrong fuhr fort zu erklären, was jeder bereits
wußte. Dr. Park stand phlegmatisch da. Sein Gesicht war
ausdruckslos. »Sie gehen auf unserem schönen
Institutsgelände spazieren und sehen eine Rose. Auf einmal
erinnern Sie sich, daß Sie in Vallois Rosen gepflückt
haben, einem Urlaubsort des neunzehnten Jahrhunderts in
Frankreich, der für seine Unmassen prächtiger Rosen
berühmt war. Wir schreiben das Jahr 1868, und Sie sind eine
Italienerin, die gerade eine Auslandsreise mit ihrem Mann und
ihren Kindern unternimmt. Sie sehen ihre Gesichter vor sich,
fühlen den warmen französischen Sonnenschein auf Ihrer
Haut, riechen die lachsfarbene Rose. Plötzlich fallen Ihnen
Teile dieses Lebens wieder ein – aber nicht das ganze
Leben. Nur Teile davon.«
    Die Ärztin lächelte, als ob sie ihnen allen ein
Geschenk machen würde. Ihre Sprechweise wurde langsam und
weich. »Und – Sie werden sich an diese Teile
auf Englisch erinnern, nicht auf Italienisch oder
Französisch. Dafür gibt es einen sehr guten Grund. Das
limbische System, das >Tor< zum Übergedächtnis,
ist präverbal. Es verfügt nicht über Worte. Doch
die Erinnerungen aus dem limbischen System erreichen Ihr
Bewußtsein durch den Cortex. Und für die meisten von
Ihnen gilt, daß Ihr Cortex auf Englisch denkt.
Deshalb werden Sie sich an alle Worte, an die Sie sich aus diesem
anderen Leben erinnern, auf Englisch >erinnern<.
    Aber es werden nicht viele Worte sein. Das
Übergedächtnis arbeitet hauptsächlich mit Bildern,
Gefühlen und Sinneseindrücken, außer in
Augenblicken extremer Belastung. Woran Sie sich
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