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Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi

Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi

Titel: Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
Autoren: Isabel Morf
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mochte sie Hefti.
    Heute war die Stimmung im Ratssaal unruhiger als sonst. Vor Sitzungsbeginn hatte der Angriff auf Angela Legler Gesprächsstoff gegeben. Diese saß tapfer im Saal, an der linken Schläfe ein großes Pflaster, mit geradem Rücken, als ob sie ein Brett verschluckt hätte, und mit einem Blick, der sagte: Ich lasse mich nicht mundtot machen. Der Fraktionspräsident hatte eine Debatte zum Vorfall vom Samstag verlangt, was aber von der Ratspräsidentin abgelehnt worden war. Sie hatte ihm nur eine kurze Erklärung zugestanden, in der er die Attacke verurteilte, ohne genauer auf die Ursache und den Kontext einzugehen. Es war eine heikle Angelegenheit, denn die CVP stand mehrheitlich gar nicht hinter Leglers Vorstoß, den Flohmarkt zu schließen, und war nicht glücklich über das Sonderzüglein, das sie in dieser Sache fuhr.
    Die Debatte plätscherte weiter, noch immer ging es um die Steuersenkungen. Lina sah sich um. Wen sollte sie sich heute aussuchen? Vielleicht – ja, Ruth Noser. Die hatte ein interessantes Gesicht. Wenn Lina sich langweilte, fertigte sie manchmal kleine Bleistiftskizzen von den Kantonsräten an, keine Karikaturen, sondern Porträts, in denen sie versuchte, Stimmung und Ausdruck einzufangen. Obwohl sie diskret vorging, war das nicht verborgen geblieben. Es gab Ratsmitglieder, die misstrauisch darauf reagierten, im Vorbeigehen einen Kontrollblick warfen, um zu schauen, ob etwa sie das Opfer waren, aber auch andere, die ganz versessen darauf waren, von Lina gezeichnet zu werden, und ihr anboten, ihr Porträt zu kaufen. Denn es war bekannt, dass Lina Kováts auch Malerin war; eine kleine Galerie in Zürich stellte regelmäßig ihre Bilder aus. Lina fasste Ruth Noser ins Auge und begann, die Form ihres Kopfes zu skizzieren.
     
    Kurz vor 10 Uhr betrat Streiff das Rathaus. Um 10 Uhr war Sitzungspause und er war mit Angela Legler verabredet, die ihm die Drohbriefe zeigen wollte, die sie in Sachen Flohmarktschließung erhalten hatte. Punkt 10 Uhr gingen die Türflügel des Ratssaals auf und die Politiker strömten heraus – in Richtung Café. Eine Frau mit einem dunklen Pagenkopf ging an ihm vorbei und grüßte ihn. Streiff nickte unverbindlich zurück. Wer war das bloß? Ach ja, vielleicht Lina Kováts, Valeries beste Freundin. Die arbeitete doch hier. Mit ihr kam er gar nicht gut zurecht, ihre oft wechselnden Haarfarben überforderten ihn heillos. Er war froh, dass Valerie und Lina keinerlei Neigung zeigten, ihre Freundschaft auf die zugehörigen Männer, ihn und diesen Hannes Neubauer, auszudehnen. Er schaute ihr nach. Sie ging auf einen Mann zu, der die Treppe hinaufkam. »Carlo«, rief sie, »kann ich rasch etwas mit dir besprechen?« Er hörte, dass der Mann sie mit Lina ansprach und wandte sich ab. Da erschien auch schon Angela Legler. Streiff hoffte, dass sie sich nicht mehr an seinen Sarkasmus vom Samstag erinnerte. Er fragte nach ihrem Befinden, aber Legler hatte keinen Sinn für Konversation.
    »Kommen Sie«, sagte sie, »dort drüben sind wir ungestört.«
    Er folgte ihr und sie reichte ihm zwei Briefe. Der eine war von Hand geschrieben, eine leicht lesbare, flüssige Schrift, der Brief gut formuliert. In deutlichen Worten wurde der Politikerin vorgeworfen, dass sie ein wichtiges Stück Alternativkultur abwürgen wolle, dass sie sich nicht schere um die Bedürfnisse der finanziell Minderbemittelten in dieser Stadt, dass ihr der direkte Draht zur Bevölkerung fehle. Der Brief war unterschrieben und mit einer Absenderadresse versehen.
    »Das ist doch gar kein Drohbrief«, bemerkte Streiff. Hat die mich deswegen antraben lassen, fragte er sich gereizt.
    »Bitte«, Legler hielt ihm einen zweiten Brief hin.
    Dieser war auf dem Computer geschrieben und trug keine Unterschrift. Sie solle ihre Pfoten vom Flohmi lassen, wurde der Politikerin grob beschieden, sonst werde etwas passieren …
    Streiff nahm die Briefe an sich und versprach, der Sache nachzugehen. Besonders beeindruckt war er nicht, es gab erstaunlich viele Leute, die ihrem Unmut über behördliche oder politische Entscheide in anonymen Briefen Luft machten. Aber immerhin, Angela Legler war am Samstag ein Stein nachgeworfen worden.
    »Haben Sie einen konkreten Verdacht, von wem der Drohbrief stammen könnte?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Mit Leuten von diesem Niveau verkehre ich nicht«, stellte sie klar. »Meine Wählerschaft benimmt sich anders.«
    Streiff ging darauf nicht ein. »Haben Sie am Samstag auf dem
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