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Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi

Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi

Titel: Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
Autoren: Isabel Morf
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erwiderte Streiff knapp.
    »Oder Kommissar Zufall«, gab Freuler mit einem abschätzigen Blick zurück.
    »Fühlten Sie sich eigentlich erleichtert, als Sie erfuhren, dass Angela Legler wirklich tot ist? Dass Sie nie mehr für sie arbeiten müssen?«, wechselte Streiff das Thema.
    »Ich hatte gesiegt«, sagte Freuler tonlos.
    »Um welchen Preis?«, fragte Streiff rasch.
    »Wenn Sie nicht dazwischengekommen wären …«, fuhr der Mann auf.
    »Ich meine nicht das«, sagte Streiff ruhig. »Wie leben Sie mit der Tatsache, dass Sie einen Menschen getötet haben?«
    »Kommen Sie mir nicht mit Moral, das steht Ihnen nicht zu!«
    Streiff sagte nichts.
    »Ich kann nicht mehr schreiben seither«, murmelte Freuler. Es war nicht klar, ob er es zu Streiff oder zu sich selbst sagte. »Ich habe nichts mehr geschrieben. Ingrid ist mir fremd, meine Kinder ohnehin. Aber auch meine Mansarde ist mir fremd geworden. Mein Arbeitstisch. Meine Bücher. Mein Manuskript. Es ist, als ob das alles zu einem anderen Menschen gehörte. Einem Menschen, der ganz nahe bei mir ist. Aber unüberwindbar getrennt von mir. Mir ist der Zugang zu all dem verschlossen. Ich bin«, sagte er langsam, »ein anderer Mensch geworden.« Und nach einer Pause: »Ich habe nicht geahnt, dass es so herauskommen würde.«
    Nein, sie wissen es nicht, dachte Streiff. Sie finden sich, egal, ob sie bereuen oder nicht, in diesem Zustand wieder, in dieser entsetzten Verwunderung, dass sie nicht mehr dieselben sind wie vorher. Dass es nicht möglich ist, die Tatsache von sich zu schieben, dass sie einem anderen Menschen das Leben genommen haben. Sie haben Richter gespielt, Gott gespielt, und diese Grenzüberschreitung hat in ihnen Spuren hinterlassen, verändert die Struktur ihrer Persönlichkeit, verändert ihr Verständnis von sich selbst. Nicht einmal die Gescheitesten können das vorhersehen. Er schaltete das Aufnahmegerät aus und ließ Carlo Freuler abführen.

Sonntag
    Streiff hatte gut geschlafen. Die Anspannung, die ihn während der Arbeit an einem Fall nie ganz verließ, hatte sich gelöst. Dennoch war er nervös. Er trank Kaffee und hörte mit halbem Ohr die Nachrichten des Lokalradios, das über die Tötungsdelikte berichtete. Er schaute aus dem Fenster. Der Hochnebel war dabei, sich aufzulösen, bleich drückte die Novembersonne durch. In einem Radiokommentar wurde jetzt eine PUK gefordert, die die Arbeitsbedingungen in den Parlamentsdiensten durchleuchten solle. Beat schaltete das Radio aus. Er hatte noch etwas vor. Es war ihm unangenehm, aber es musste sein. Ich bin es ihr schuldig, dachte er. Es war später Vormittag, jetzt war sie bestimmt auf. Er griff zum Telefon. Den Rest des Vormittags verbrachte er damit, seine Wohnung einigermaßen in Schuss zu bringen, um sich abzulenken vom Gedanken daran, was er vorhatte. Was würde sie sagen? Endlich war es Mittag. Sie hatten sich am Escher-Wyss-Platz verabredet. Valerie war schon da, Seppli tanzte um sie herum, schnupperte an unappetitlichen Flecken auf dem Trottoir und zog an der Leine. Sie gingen die Treppe hinunter zum Flussufer. Valerie ließ den Hund von der Leine.
    Beat war mulmig zumute. Sollte er erst ein bisschen Small Talk machen oder gleich mit der Sprache herausrücken? War sie ihm noch böse? Eine Weile gingen sie still nebeneinander her. Nein, dachte er, jetzt keine Bemerkungen übers Wetter oder die Spaziergänger, das macht keinen Sinn.
    Er holte tief Luft. »Ich wollte mich bei dir bedanken«, begann er.
    »Wofür?«, fragte sie.
    »Ich hätte ohne dich den Fall nicht gelöst, ich meine den Mord an Angela Legler.«
    »Ohne mich?« Sie war verwundert. »Aber ich habe doch gar nichts gemacht. Diesmal habe ich mich nicht eingemischt.«
    »Trotzdem.« Himmel, wie schwer ihm das fiel. »Auf der Sihlbrücke, am Donnerstag. Carlo Freuler ist uns entgegengekommen. Und du hast ihn erkannt.«
    »Natürlich. Ich habe ihn einmal an einem Apéro bei Lina getroffen. Aber du hast ihn doch auch gekannt, von den Befragungen her.«
    »Ja, ich meine nein, eben nicht. Ich habe ihn nicht wiedererkannt.« Beat verfluchte innerlich seine Unfähigkeit, sich klar auszudrücken. Valerie schaute ihn von der Seite an.
    »Schau, ich habe eine Art Gesichtsblindheit. Nicht sehr stark ausgeprägt. Aber manche Gesichter kann ich mir nicht merken. Ich erkenne sie nicht wieder, wenn ich sie einmal oder auch mehrmals gesehen habe. Und das ist mir hier fast zum Verhängnis geworden. Prosopagnosie heißt das.«
    Sie schaute ihn immer
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