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Sascha - Das Ende der Unschuld

Sascha - Das Ende der Unschuld

Titel: Sascha - Das Ende der Unschuld
Autoren: Andy Claus
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Kenntnis und dachte an sein Zuhause in Kemnitz, wo er wenigstens sein eigenes Zimmer gehabt hatte. Er brauchte ein wenig Zurückgezogenheit, um seinen Phantasien nachhängen zu können. Sascha war schon immer ein Träumer. Er brauchte seine Illusionen wie die Luft zum Atmen. Gerade in dieser Zeit wollte er sich in seine eigene Welt, in der er alles tun konnte, zurückziehen. Die Enge des Containers gab ihm keine Möglichkeit dazu. Er glaubte den Versprechungen seines Vaters nicht, erkannte an dessen Beteuerungen nur dessen Ohnmacht den tatsächlichen Gegebenheiten gegenüber.
    Die Wochen vergingen langsam, Sascha wurde immer mutloser. Er konnte der ganzen Situation nichts Positives abgewinnen und gab seine wehmütigen Gefühle an die ganze Familie weiter. So blieb es erst einmal, wie es war ... sie wurden vom Staat finanziell unterstützt. Auf ein menschenwürdiges Heim und Arbeit mussten sie weiterhin warten und das ließ das Selbstwertgefühl kentern wie ein löchriges Boot. Zu allem Überfluss liefen ihnen die verschiedensten Vertreter die Türe ein. Möbel sollten sie bestellen und Versicherungen abschließen. Jemand bot ihnen sogar eine Chinchillazucht als mögliche Existenzgrundlage an. Manfred jedoch ließ sich trotz seines Zwiespalts auf nichts ein. Er redete sich trotzig ein, er würde seine Chance in dem Beruf, von dem er etwas verstand, schon noch bekommen.
    ✵
    Inzwischen war es Dezember geworden, bald würde Weihnachten sein. Alle Geschäfte glänzten in einer nahezu überirdischen Pracht. Sascha stand nur davor und malte sich aus, wie es sein würde, wenn er sich etwas davon kaufen könnte. In dem Jungen wuchs ein stiller Hass auf diejenigen, die sich dies alles leisten konnten, und er zog sich noch mehr in sich zurück. Weder seine Familie noch andere Menschen kamen an ihn heran. Schon bald versuchte es auch niemand mehr. Zu heftig war der Widerstand des Zwölfjährigen.
    Am Heiligen Abend saß man um den kleinen Tisch herum, die vier Kerzen auf dem Adventskranz brannten. Für einen Weihnachtsbaum war kein Platz in der engen Behausung und so gab man sich mit wenig schillerndem Lametta auf einem bereits die Nadeln verlierenden Kranz zufrieden.
    Inge weinte. Sie hatte gerade ihre letzten Markstücke dafür ausgegeben, nach Kemnitz zu telefonieren. Dabei erfuhr sie, dass auch ihr Freund mit seiner Familie in den Westen ging. Niemand wusste, wo er geblieben war und für Inge bedeutete dies das endgültige Aus.
    Angelika und Manfred hielten sich die Hand. Es wirkte wie das verzweifelte Festhalten an einer Familie, die zu zerbrechen drohte. Manfred begann wieder mit tröstenden Durchhalteparolen, aber niemand hörte ihm zu. Sogar seine Frau dachte nur an die Vergangenheit.
    Gleich nach dem Essen hielt Sascha es nicht mehr aus. Er musste raus hier, weg von der Mutlosigkeit der anderen. Seine Familie konnte seine Melancholie nicht verscheuchen, weil sie selbst zu bedrückt war. Er wollte nicht zugeben, wie ihm zumute war. Wollte nicht sagen, dass er bereits frühzeitig erkannte, dass es ein Fehler gewesen war, alle Brücken zum früheren Leben abzubrechen. Mit dem Instinkt eines Kindes hatte er bereits erkannt, dass hier im Westen nichts anderes zählen würde als Geld. Geld, das er nicht zur Verfügung hatte und welches in seiner bisherigen Welt auch nicht so wichtig war. Schließlich waren seine Freunde wie er gewesen. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er jetzt bitter und verstockt auf die Zeit warten wollte, die ihm die Entscheidungsfreiheit geben würde, zurück in seine Heimat zu gehen.
    Sascha wollte auf keinen Fall sentimental werden, deshalb verließ er den Kreis seiner Familie und ging hinaus. Ziellos lief er in der kalten Dunkelheit zwischen den Wohncontainern umher, und erst als er aus einem von ihnen ein Weihnachtslied vernahm, blieb er stehen. Er wollte wütend werden über die Emotionen, die das Musikstück in ihm wachrief. Trotzdem stahlen sich jetzt in seine fast schwarzen Augen Tränen.
    Sascha lehnte seinen Kopf gegen eine der Wände. Die durchdringende Kälte des Metalls schmerzte. Mit dem Jackenärmel wischte er ärgerlich die lästigen Tränen weg. Da musste er jetzt ganz einfach durch. Aber er nahm sich vor, es seinen Eltern so schwer wie möglich zu machen. Sie sollten jeden Tag aufs Neue spüren, wie sehr er ihre Entscheidung missbilligte, wegen der er in einem reichen Land Deutscher zweiter Klasse sein sollte. Und dass er dies war, merkte er vor allem in der Schule. Am ersten Tag
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