Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sarrasine (German Edition)

Sarrasine (German Edition)

Titel: Sarrasine (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
nicht so töricht an. Sie halten ein altes Männchen für ein Gespenst.« »Schweigen Sie!« erwiderte sie mit der gebieterischen und spöttischen Miene, die alle Frauen so gut anzunehmen verstehen, wenn sie recht haben wollen. »Welch hübsches Boudoir!« rief sie und blickte sich um. »Blauer Satin tut immer eine prächtige Wirkung als Wandbekleidung. Wie er leuchtet! O, das schöne Gemälde!« Sie stand rasch auf und stellte sich vor ein Bild, das in prächtigem Rahmen an der Wand hing.
    Wir blieben einen Augenblick vor diesem wunderbaren Gemälde, das einem überirdischen Pinsel zu entstammen schien, in stummer Betrachtung versunken. Das Bild stellte Adonis vor, der auf einem Löwenfell ausgestreckt liegt. Die Lampe, die in der Mitte des Boudoirs hing und von einem Schirm aus Alabaster umschlossen war, beleuchtete die Leinwand mit einem milden Schimmer, der hell genug war, daß wir alle Schönheiten des Gemäldes gewahren konnten.
    »Lebt wirklich ein so vollkommenes Wesen?« fragte sie mich, nachdem sie, nicht ohne ein holdes Lächeln der Befriedigung, die köstliche Anmut der Linien, die Haltung, die Farbe, das Haar, kurz, alles besichtigt hatte. »Er ist zu schön für einen Mann!« entschied sie, nachdem sie das Bild einer Prüfung unterzogen hatte, wie sie etwa eine mit einer Nebenbuhlerin hätte anstellen können. O, wie spürte ich jetzt, wie ich von eben der Eifersucht gepackt wurde, von der mir ein Dichter gesprochen hatte und an die ich damals nicht glauben wollte: der Eifersucht auf Zeichnungen, Bilder, Statuen, in denen die Künstler die Menschen infolge einer Lehre, die sie dazu bringt, alles zu idealisieren, schöner darstellen, als sie sind.
    »Es ist ein Porträt«, antwortete ich ihr; »wir verdanken es dem Pinsel von Vien. Aber der große Künstler hat das Original nie gesehen, und Ihre Bewunderung wird vielleicht etwas geringer werden, wenn Sie erfahren, daß das Bild nach einer weiblichen Statue gemalt wurde.« »Aber wen stellt es vor?« Ich zögerte. »Ich will es wissen!« fügte sie in entschiedenem Tone hinzu. »Ich glaube,« sagte ich schließlich, »dieser Adonis stellt einen... einen... einen Verwandten der Frau von Lauty vor.«
    Ich hatte den Schmerz, sie in die Betrachtung dieser Gestalt versunken zu sehen. Sie saß schweigend da, ich setzte mich neben sie und ergriff ihre Hand, ohne daß sie es merkte. Um eines Bildnisses willen vergessen! In diesem Augenblick hörte man in dem Schweigen das leise Geräusch von Schritten eines weiblichen Wesens, dessen Kleid rauschte. Die junge Marianina trat ein. Der Ausdruck der Unschuld auf ihrem Antlitz war noch strahlender als ihre Anmut und ihr reizendes Gewand; sie ging langsam und führte mit mütterlicher Sorgfalt und kindlicher Beflissenheit das angekleidete Gespenst, das uns aus dem Musikzimmer vertrieben hatte; während sie ihn geleitete, blickte sie mit einiger Unruhe auf ihn. So gelangten sie ziemlich beschwerlich an eine geheime Tapetentür. Marianina pochte leise. Sofort tauchte, wie durch Zauberwerk, ein großer, hagerer Mann, eine Art Hausgeist, auf. Bevor das schöne Kind diesem geheimnisvollen Wärter den wandelnden Leichnam übergab, küßte sie ihn ehrerbietig, und dieser keuschen Berührung fehlte es nicht an der liebevollen Zärtlichkeit, die das Geheimnis weniger bevorzugter Frauen ist.
    »Addio, addio!« sagte sie mit dem holdesten Tone ihrer jungen Stimme.
    Sie versah sogar die letzte Silbe mit einem Triller, den sie entzückend, aber mit leiser Stimme ausführte; es klang, als wenn sie mit den Ausdrucksmitteln der Kunst das Überströmen ihres Herzens schildern wollte. Der Alte schien von irgendeiner Erinnerung überfallen zu werden und blieb auf der Schwelle des geheimen Gemachs stehen. In der völligen Stille, die herrschte, hörten wir einen schweren Seufzer aus seiner Brust kommen; er zog den schönsten der Ringe, die er an seinen dürren Fingern trug, ab und barg ihn in Marianinas Busen. Die kleine Närrin lachte, holte den Ring heraus, steckte ihn über dem Handschuh an einen Finger und wandte sich rasch dem Salon zu, von dem eben das Vorspiel eines Kontertanzes herklang. Da sah sie uns.
    »O, Sie waren hier!« rief sie errötend.
    Sie sah uns forschend an; nach einem Augenblick jedoch hüpfte sie mit der ganzen Sorglosigkeit ihrer Jahre ihrem Tänzer entgegen.
    »Was hat das zu bedeuten?« fragte mich meine junge Partnerin; »ist er ihr Gatte? Ich glaube zu träumen. Wo bin ich?«
    »Sie,« antwortete ich, »Sie,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher