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Sarrasine (German Edition)

Sarrasine (German Edition)

Titel: Sarrasine (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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himmlische Harpyie im Sinne tragen, die ihre Krallen in all meine männlichen Gefühle schlagen und alle anderen Frauen mit dem Male der Unvollkommenheit zeichnen wird. Ungeheuer! Du Geschöpf, das nichts Lebendiges zur Welt bringen kann, du hast für mich alle Frauen der Erde getötet.‹
    Sarrasine setzte sich dem geängsteten Sänger gegenüber. Zwei dicke Tränen kamen aus seinen heißen Augen, rollten seine männlichen Wangen hinab und fielen zu Boden: zwei Tränen der Wut, zwei bittere, brennende Tränen.
    ›Keine Liebe mehr! Ich bin jeder Freude, jeder menschlichen Regung gestorben.‹
    Bei diesen Worten ergriff er einen Hammer und schleuderte ihn mit so wilder Gewalt gegen die Statue, daß er sie verfehlte. Er glaubte, das Denkmal seines Wahnsinns zerstört zu haben, und griff wieder nach dem Degen, schwang ihn und wollte den Sänger töten. Zambinella stieß durchdringende Schreie aus. Da stürzten drei Männer herein, und plötzlich sank der Bildhauer, von drei Dolchstichen durchbohrt, zu Boden.
    ›Vom Kardinal Cicognara‹, sagte der eine Bravo. ›Ein frommer Dienst, der einen Christen ehrt‹, antwortete der Franzose und starb.
    Die düsteren Boten machten Zambinella Mitteilung von der Unruhe seines Schutzherrn, der am Tor in einem geschlossenen Wagen auf ihn wartete, um ihn, sowie er befreit wäre, mit sich wegführen zu können.«
    »Aber«, fragte mich Frau von Rochefide, »was für eine Beziehung besteht zwischen dieser Geschichte und dem alten Männchen, das wir bei den Lautys gesehen haben?« »Meine Gnädigste, der Kardinal Cicognara setzte sich in den Besitz der Statue Zambinellas und ließ sie in Marmor ausführen; sie ist gegenwärtig im Museum Albani. Dort fand sie 1791 die Familie Lauty wieder und bat Vien, sie zu kopieren. Das Porträt, das Ihnen Zambinella im Alter von zwanzig Jahren gezeigt hat, nachdem Sie ihn einen Augenblick vorher als Hundertjährigen gesehen hatten, hat später als Vorlage für Girodets ›Endymion‹ gedient; Sie haben sehen können, daß der ›Adonis‹ der nämliche Typus ist.« »Aber dieser oder diese Zambinella?« »Dürfte kein anderer sein als Marianinas Großonkel. Sie werden jetzt verstehen, was Frau von Lauty für ein Interesse daran haben muß, den Ursprung eines Vermögens zu verbergen, das von...« »Genug!« unterbrach sie mit gebietender Gebärde.
    Wir blieben eine Weile in tiefstem Schweigen.
    »Nun?« fragte ich schließlich. »O!« rief sie aus. Sie stand auf und ging mit großen Schritten im Gemach auf und ab.
    Dann sah sie mich an und sprach mit einer Stimme, die einen veränderten Klang hatte: »Sie haben mir für lange Zeit das Leben und die Liebe zum Ekel gemacht. Kommen nicht alle menschlichen Gefühle, fast ohne Unterschied, zum selben Ende: zu grauenvollen Enttäuschungen? Sind wir Mütter, so ermorden uns die Kinder durch ihr schlimmes Leben oder durch ihre Kälte. Sind wir Gattinnen, so werden wir verraten. Sind wir liebende Frauen, so werden wir verlassen, verstoßen. Freundschaft! Gibt es Freundschaft? Morgen ginge ich ins Kloster, wenn ich nicht die Kraft hätte, mitten in den Stürmen des Lebens unzugänglich wie ein Fels zu bleiben. Ist die Zukunft der Christen ebenfalls nur ein Trug, so wird er wenigstens erst nach dem Tode zerstört. Lassen Sie mich allein!«
    »Ah,« rief ich aus, »Sie verstehen sich aufs Strafen!« »Habe ich unrecht?«
    »Ja«, antwortete ich und nahm meinen ganzen Mut zusammen; »jetzt, da diese Geschichte, die in Italien bekannt genug ist, zu Ende erzählt ist, kann ich Ihnen einen hohen Begriff von den Fortschritten der modernen Zivilisation geben: man macht in Italien diese unseligen Geschöpfe nicht mehr.«
    »Paris«, erwiderte sie, »ist ein sehr gastlicher Ort! Es nimmt alles auf, die schändlichen Vermögen so gut wie die blutigen. Verbrechen und Schande haben hier Asylrecht; nur die Tugend hat keine Altäre. Aber die reinen Seelen haben eine Freistatt im Himmel. Niemand wird mich erkannt haben! Das soll mein Stolz sein.«
    Die Marquise blieb in tiefem Sinnen.

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