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Sarg niemals nie

Sarg niemals nie

Titel: Sarg niemals nie
Autoren: Dan Wells
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nicht.«
    »Ich bin sicher, dass Sie damit völlig richtigliegen, aber ich fürchte, ich muss trotzdem ablehnen. Sie müssen wissen …« Ich hielt inne, weil ich mir noch nicht zurechtgelegt hatte, wie ich meine Lage erklären sollte, ohne alles zu verraten. »Sie müssen wissen, mein guterHerr Kutscher, dass ich krank bin. Eine böse, böse Krankheit. Ich muss so schnell wie möglich nach London, um meinen Onkel zu besuchen, einen bekannten Apotheker, denn nur er kann mich heilen.«
    »Sie sind krank? Dann öffnen Sie doch, damit wir Sie untersuchen können. Welch ein Glück für Sie! Johnny da drinnen ist gelernter Apotheker, und ich bin sicher, dass er Ihnen helfen kann.« Wieder rüttelte er an der Tür, worauf ich die Hand ausstreckte, um sie von innen festzuhalten.
    »Nein, nein«, widersprach ich. »Das kann ich nicht zulassen, so leid es mir tut. Sie müssen wissen, dass ich im Verlauf meiner Krankheit … sehr hässlich geworden bin.«
    »Hässlich?«, fragte er.
    »Abgrundtief hässlich«, versicherte ich ihm. »Bleich wie ein Gespenst, hager wie eine Leiche. Ich bin der widerwärtigste, abstoßendste Mann, den Sie je gesehen haben, und das ist mir äußerst peinlich. Deshalb bin ich hier hereingehuscht, ohne mich blicken zu lassen, und deshalb muss ich ungesehen wieder aussteigen, sobald wir in London angekommen sind. Ich ertrüge es nicht, Ihr entsetztes Gesicht zu erblicken, und entsetzt wären Sie ganz gewiss.«
    »Hässlich, ja?« Der Mann dachte einige Augenblicke lang nach und wälzte die Gedanken im Schädel hin und her. »Schlimme Sache, so was. Tut mir leid. Aber jetzt verstehe ich das – eine Kutsche mieten, die Sie nach Mitternacht irgendwo draußen abholt.« Er lachte, und an dem leichten Schaukeln der Kabine merkte ich, dass er endlich auf den Kutschbock stieg. »Ich hatte schon fast mit einem entsprungenen Häftling gerechnet – oder mit einem Vampir. Stellen Sie sich das mal vor. Es läuft mirkalt den Rücken runter, wenn ich nur daran denke. Na gut, dann fahren wir los.«
    Er schnalzte, das Geschirr klingelte, und wir setzten uns mit einem Ruck in Bewegung. Gleich danach richtete ich mich für die lange Fahrt nach London gemütlich ein und beäugte beunruhigt den Mann, der mir gegenüber schlief. Ein Apotheker? Das kam mir völlig absurd vor. Ein Tierarzt mochte gelegentlich so schmutzig werden und so übel riechen, aber gewiss kein Apotheker, der etwas auf sich hielt. Ein Blick auf meine eigene Aufmachung, auf die groben Lumpen eines Gefangenen, reichte jedoch völlig aus, um mir jeden überheblichen Gedanken sogleich auszutreiben.
    Ich grübelte eine Weile über meine missliche Lage nach und suchte einen Ausweg. Da ich immer noch wie ein Sträfling gekleidet war, konnte ich die Kutsche nicht verlassen, aber ich konnte auch nicht ewig hier sitzen bleiben. Wahrscheinlich musste ich sogar schon sehr bald aussteigen, denn der schlafende Mann, mein Reisegefährte, regte sich und erwachte – langsam und sehr dramatisch, als wäre jedes Recken und Gähnen ein gewaltiger Schritt zu einem letztendlichen Ergebnis, das viel mehr war als das bloße Aufwachen. Zuerst wälzte er sich auf die eine, dann auf die andere Seite, schob sich die Decken über das Gesicht, zerrte sie mit wackelnden Zehen wieder hinunter. Der ganze Vorgang zog sich derart in die Länge, dass ich schon zu hoffen wagte, wir würden London erreichen, ehe er ganz und gar wieder bei sich wäre. Und doch, mit der Unausweichlichkeit einer Naturkatastrophe erwachte er.
    Der Fremde richtete sich unvermittelt auf und fegte die Decken beiseite, als wäre er viel zu beschäftigt, umsich mit ihnen abzugeben. Seine Kleidung war ärmlich und so wenig sauber, wie man es von einem Mann erwartet hätte, der in den Pferdedecken anderer Leute schlief. Weder sein Verhalten noch sein Äußeres legten die Vermutung nahe, er könne Apotheker sein. Erst heftete er den Blick auf den Boden, dann auf mich. Er lächelte breit, als sei er hocherfreut, einen anderen Menschen zur Gesellschaft zu haben. Wortlos lehnte er sich zurück und betrachtete mich, als wartete er auf irgendetwas. Allerdings hatte ich keine Ahnung, was dies sein mochte. Dennoch ergriff ich schließlich das Wort.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Wie geht’s denn so?« Wieder lächelte er, als hätte er etwas ungeheuer Kluges von sich gegeben.
    »Wie es geht?« Seine Frage verblüffte mich, denn es war nicht die Art und Weise, wie man gewöhnlich jemanden begrüßt. Er runzelte leicht die
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