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Sarg niemals nie

Sarg niemals nie

Titel: Sarg niemals nie
Autoren: Dan Wells
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Stirn und machte gleich weiter.
    »Und wie es um Sie steht?«
    »Wie es um mich steht?«
    »Nein, nein, nein«, erwiderte er, schüttelte den Kopf und legte mir eine Hand aufs Knie. »Wenn Sie immer nur wiederholen, was ich sage, kommen wir keine Zeile weiter. Es muss heißen: Und wie es um Sie steht? Es geht, es geht. Ein kalter Wind da draußen weht. Und so weiter. Und jetzt«, sagte er und klopfte mir beruhigend aufs Knie, »beginnen wir noch einmal von vorn.«
    Ich starrte ihn an.
    »Was?«, fragte ich nach einer Weile.
    »Damit kann man nicht viel anfangen«, antwortete er. »Es sei denn, ich soll mit krass antworten oder darauf Bezug nehmen, dass die Pferde vor Schweiß schon ganz nass sind. Eine gute Konversation erfordert von beiden Seiten ein wenig Anstrengung, also in diesem Fall von Ihnen und mir. Sie können doch nicht erwarten, dass ich alles ganz allein beisteuere.«
    »Was … oh, Entschuldigung. Ich … wie geht es Ihnen so?«
    Er strahlte.
    »Ganz ausgezeichnet, darüber bin ich froh.«
    Ich betrachtete noch einmal mein Äußeres und fragte mich, welche Antwort er wohl erwartete. Schließlich hielt ich es für das Beste, es mit Ehrlichkeit zu versuchen, jedenfalls so weit wie möglich.
    »Ich bin ein wenig durch den Wind, wie Sie zweifellos erkennen werden.«
    »Durch den Wind vielleicht, aber sicher nicht bereit zu sterben.« Er strahlte mich an.
    »Und was meinen Sie – stehe ich das durch wie ein tapferer Mann?«
    »Sie tragen es als Ehrenmann und haben doch die Kleidung eines Sträflings an.«
    »Tja, ja, ich erkläre es Ihnen gern ausführlich …«
    »Bitte sagen Sie es kurz und ungebührlich …«
    »Kurz und ungebührlich?«
    »Da, Sie haben es schon wieder getan! Ich sagte Ihnen doch, es gelingt nicht, wenn Sie immer nur wiederholen, was ich sage.«
    »Aber müsste es nicht kurz und bündig heißen?«
    »Nimmt man es allzu genau, dann kann man nichts mehr reißen.«
    »Darf ich fragen, warum wir überhaupt Lyrik von uns geben müssen?«
    »Ah, da ist das infernalische Wort schon wieder.« Er schnitt eine Grimasse und warf die Hände hoch. »Lyrik!Ich glaube, wenn ich das noch einmal höre, drehe ich durch.«
    »Dann sind Sie kein Liebhaber der … Lyrik?«
    »Kein Liebhaber? Ganz im Gegenteil, ich bin von Haus aus ein Dichter. Die Schwierigkeit liegt nicht im Tun, sondern in dem Wort: Lyrik. Welch armselige Sprache, die auf Lyrik keinen guten Reim kennt! Das ist … als könnte man das Wort Lied nicht singen oder als könnte man das Wort sprechen nicht über die Lippen bringen.«
    »Wenn man es auf diese Weise betrachtet, haben Sie wohl recht.«
    »Sie zeigen Einsicht, das ist nicht schlecht.«
    »Strengt Sie das nicht furchtbar an?«
    »Ich finde es erfrischend, guter Mann.«
    »Wollen Sie den ganzen Weg bis London so weitermachen?«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    »Oh«, sagte ich. »Der Kutscher erwähnte übrigens, Sie seien Apotheker.«
    »Genau genommen bin ich Wundarzt. Warum, sind Sie krank?«
    »Nein, aber Sie sagten doch gerade, Sie seien von Haus aus ein Dichter. Die Chirurgie scheint da nicht so recht ins Bild zu passen.«
    »Sie passt überhaupt nicht, aber ich habe einige nette Reime auf Leber gefunden. Deshalb habe ich die Heilkunst schließlich an den Nagel gehängt. Leider wollte niemand die Gesammelten ärztlichen Sonette lesen, also habe ich keine mehr geschrieben. Ich mache mir jetzt einen Namen – und wenn es sein muss, für mich ganz allein –, oder ich werde bei dem Versuch sterben.«
    »Und welchen Namen wollen Sie sich machen?«
    »John Keats. Und wie heißen Sie?«
    »Frederick Whithers.«
    John gab mir die Hand, ich schlug ein.
    »Freut mich, dich kennenzulernen, Frederick. Darf ich aufgrund deiner Kleidung annehmen, dass du ein entflohener Verbrecher bist?«
    Seine unverblümte Art überraschte mich sehr.
    »Stört dich das nicht?«
    »Aber ganz und gar nicht! Ein Dichter muss sich die abscheulichsten Erfahrungen zumuten, will er das Wesen des Lebens wirklich einfangen. Sag mal, wie kam es denn dazu, dass man dich ins Gefängnis gesteckt hat, und wie war das?«
    »Wie das war?«
    »Du hast wirklich die Angewohnheit, ständig die Worte anderer Menschen zu wiederholen, was? Erzähl mir, wie es im Gefängnis war: War es finster und trübselig, voller Reue und erstickt von langsam tröpfelnder Verzweiflung?«
    »Ganz genau weiß ich nicht, was eine langsam tröpfelnde Verzweiflung ist, aber trotzdem – möchtest du nicht lieber hören, wie ich geflohen
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