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Sarahs Moerder

Sarahs Moerder

Titel: Sarahs Moerder
Autoren: Andrej Longo
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Lire?«
    »Hab ich«, sagte ich, »aber was willst du damit?«
    »Komm schon, wir sind doch Freunde.«
    Ich nahm zehntausend Lire aus dem Portemonnaie und gab sie ihm.
    »Mensch, Ciro!«, sagte ich.
    »Is das letzte Mal«, antwortete er.
    »Klar!«
    »Ich schwör’s.«
    »Vergiss es.«
    »Das letzte Mal«, wiederholte er, während er zum Park davonging.
    Dann blieb er stehen und drehte sich um.
    »Ich will mir ’n Boot mit Schleppnetz kaufen«, sagte er.
    »Und willst du mich immer noch als Schiffsjungen?«
    Er nickte und verschwand in Richtung Park.
    Als ich zur Tür reinkam, fiel mir auf, dass der Fernseher nicht lief. Ich ging in die Küche, und wirklich: Er war aus. Der Tisch war gedeckt, eine Pfanne mit Pasta-Sauce stand auf dem Herd, aber ich sah Mamma nirgendwo. In ihrem Zimmer war Licht, und ich dachte, sie hätte sich vielleicht hingelegt. Ganz leise ging ich rein, ich wollte sie nicht wecken, falls sie schon schlief. Stattdessen war sie dabei, ihren Koffer zu packen.
    Das war ein Naturgesetz: Jedes Mal, wenn sie den Koffer hervorholte, war jemand aus der Familie krank. Und sie fuhr ins Krankenhaus, um die Nacht dort zu verbringen. Auch wenn es nichts Schlimmes war, Mandeln oder Blinddarm, rannte sie sofort los. Einmal ist sie bis nach Mailand, weil mein Bruder sich bei einem Fußballspiel eine Rippe angeknackst hatte.
    »Wer stirbt diesmal?«, fragte ich.
    »Niemand, es geht allen gut.«
    Trotzdem zog sie ein Gesicht wie bei einer Beerdigung.
    »Mamma, was ist los? Sag schon.«
    »Nichts, was soll sein. Tante Rosetta hat aus Ischia angerufen.«
    »Geht’s ihr nicht gut?«
    »Nein, nein, der geht’s gut.«
    »Na und? Nun erzähl schon!«
    »Tante Rosetta hat ein Haus auf Ischia gemietet, den ganzen August. Jetzt sind ihre Kinder weg, und sie wollte, dass ich eine Woche zu ihr fahre.«
    Seit ich klein war, hat Mamma nie Urlaub gemacht. Ich war sprachlos.
    »Hätte ich nein sagen sollen?«
    »Natürlich nicht.«
    »Kommst du wirklich alleine zurecht?«
    »Ich bin zwanzig, Mamma.«
    »Stimmt, du bist inzwischen groß.«
    »Und bei der Hitze ist es am Meer viel angenehmer. Wann fährst du?«
    »Willst du mich loswerden?«
    »Nur um Bescheid zu wissen. Wann geht das Schiff?«
    »Ich dachte, ich fahre heute Abend, mit dem letzten. Dann ist es kühler, du arbeitest nicht und kannst mich vielleicht zum Hafen bringen.«
    »Klar bringe ich dich hin. Aber beeil dich, sonst verpassen wir das Schiff noch.«
    Während ich ihr mit dem Koffer half, sah ich, dass sie ein paar gerahmte Fotos reinstopfte. Eins von meinem Vater und eins von uns Kindern zusammen auf Toninos Hochzeit. Dann eins von den Enkeln, nicht mal das von ihren Eltern hatte sie vergessen. Sie nahm die ganze Familie mit, Lebende und Tote. Ich wollte einen Witz machen, um sie zu ärgern, ließ es aber sein und streichelte sie, ohne was zu sagen.
    Dann zog ich mich um und rief ein Taxi. Als sie Taxi hörte, flippte sie aus. Das wäre was für reiche Leute, viel zu teuer, wir könnten uns das nicht leisten. Als das Taxi schon unten wartete, wollte sie immer noch nicht damit fahren. Um sie rumzukriegen, log ich, dass sie mir als Polizist die Fahrtkosten am Monatsende zurückzahlten. Zum Glück glaubte sie das, sonst hätte ich einen weiteren Abend mit dem Vesuv und dem Sohn von Titina vor mir gehabt.
    Obwohl es schon nach zehn war, sah es an der Beverello-Mole so aus, als wäre die ganze Stadt da und wollte auf die Schiffe. Nach Procida, nach Ischia – junge Leute, Familien, Ausländer, Busse von wer weiß woher, Mofas, Vespas und so weiter. Einer hatte sogar in der Nähe vom Schiff einen Tisch aufgestellt und verkaufte Panini.
    Wir mussten eine Viertelstunde Schlange stehen, um eine Fahrkarte zu ergattern. Zwei vor mir stritten ewig rum, wer zuerst dran war. Ein Kind heulte auf dem Arm seiner Mutter und wollte unbedingt Chips. Eine Alte war in ihrem Rollstuhl eingeschlafen und zog im Schlaf die Wangen ein.
    Während ich mit der Fahrkarte zu Mamma zurückging, kam ein junges Pärchen in einem Cabrio mit offenem Verdeck, das aufs Schiff wollte. Weil sie keine Erlaubnis hatten, ließ der Zoll sie nicht durch. Der Typ am Steuer stellte sich stur, behauptete ganz ruhig, er hätte eine Genehmigung, warum, verstand ich nicht. Der Zollbeamte ging nicht drauf ein und wollte, dass er wegfuhr, weil er im Weg war. Da stieg der Typ aus seinem Auto aus. Der war nicht älter als ich und sah aus wie dieser berühmte Schauspieler, von dem ich den Namen vergessen habe. Er
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