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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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Tagesordnung übergehen wollte? Nach einem Kuss (am besten eigentlich vorher, aber dazu war es ja nun zu spät) sollte man vielleicht doch ein paar grundsätzliche Dinge klären, oder? War der Kuss eine Art Liebeserklärung gewesen? Waren Gideon und ich jetzt vielleicht sogar zusammen? Oder hatten wir nur ein bisschen rumgeknutscht, weil wir gerade nichts Besseres zu tun gehabt hatten?
    »In diesem Kleid fahre ich nicht mit dem Bus«, sagte ich kategorisch, während ich so würdevoll wie möglich aufstand. Lieber hätte ich mir die Zunge abgebissen, als eine der Fragen zu stellen, die mir eben durch den Kopf geschossen waren.
    Mein Kleid war weiß mit himmelblauen Satinschleifen in der Taille und am Kragen, vermutlich der letzte Schrei im Jahr 1912, aber nicht wirklich geeignet für öffentliche Verkehrsmittel im einundzwanzigsten Jahrhundert. »Wir nehmen ein Taxi.«
    Gideon drehte sich zu mir um, doch er widersprach mir nicht. In seinem Gehrock und der Bügelfaltenhose schien er sich wohl auch nicht unbedingt busfein zu fühlen. Dabei sah er darin wirklich gut aus, zumal seine Haare nicht mehr so geschniegelt hinter die Ohren gebürstet waren wie noch vor zwei Stunden, sondern in zerzausten Locken in seine Stirn fielen.
    Ich trat zu ihm hinaus ins Kirchenschiff und fröstelte. Es war saukalt hier drinnen. Oder lag das vielleicht daran, dass ich in den letzten drei Tagen so gut wie gar nicht zum Schlafen gekommen war? Oder an dem, was eben passiert war?
    Vermutlich hatte mein Körper in der letzten Zeit mehr Adrenalin ausgeschüttet als in den ganzen sechzehn Jahren vorher. Es war so viel passiert und ich hatte so wenig Zeit gehabt, darüber nachzudenken, dass mein Kopf vor lauter Informationen und Gefühlen geradezu zu platzen schien. Wäre ich eine Figur in einem Comic, hätte eine Denkblase mit einem riesengroßen Fragezeichen darin über mir geschwebt. Und vielleicht ein paar Totenköpfen.
    Ich gab mir einen kleinen Ruck. Wenn Gideon zur Tagesordnung übergehen wollte - bitte, das konnte ich auch. »Okay, dann nichts wie raus hier«, sagte ich patzig. »Mir ist kalt.«
    Ich wollte mich an ihm vorbeidrängen, doch er hielt mich am Arm fest. »Hör mal, wegen eben ...« Er brach ab, wohl in der Hoffnung, dass ich ihm ins Wort fiel.
    Was ich natürlich nicht tat. Ich wollte nur zu gern wissen, was er zu sagen hatte. Außerdem fiel mir das Atmen schwer, so nah wie er bei mir stand.
    »Diesen Kuss . . . Das habe ich . . .« Wieder nur ein halber Satz. Aber ich vollendete ihn in Gedanken sofort.
    Das habe ich nicht so gemeint.
    Oh, schon klar, aber dann hätte er es auch nicht tun sollen, oder? Das war so, wie einen Vorhang anzünden und sich hinterher wundern, wenn das ganze Haus brennt. (Okay, blöder Vergleich.) Ich wollte es ihm kein bisschen leichter machen und sah ihn kühl und abwartend an. Das heißt, ich
versuchte,
ihn kühl und abwartend anzusehen, aber in Wirklichkeit hatte ich vermutlich so einen
Ich bin das kleine Bambi, bitte erschieß mich-n
icht
-Blick aufgesetzt, ich konnte gar nichts dagegen machen. Fehlte nur noch, dass meine Unterlippe zu beben anfing.
    Das habe ich nicht so gemeint. Komm schon, sag es!
    Aber Gideon sagte gar nichts. Er zupfte eine Haarnadel aus meinen wirren Haaren (vermutlich sah meine komplizierte Schneckenfrisur mittlerweile aus, als ob ein Vogelpärchen darin genistet hatte), nahm eine Strähne in die Hand und wickelte sie sich um seinen Finger. Mit der anderen Hand begann er, mein Gesicht zu streicheln, und dann beugte er sich zu mir hinunter und küsste mich noch einmal, diesmal ganz vorsichtig. Ich schloss die Augen - und schon passierte dasselbe wie zuvor: Mein Gehirn hatte wieder diese wohltuende Sendepause. (Es funkte nichts als
Oh, Hmmm
und
Mehr.)
    Allerdings nur etwa zehn Sekunden lang, dann nämlich sagte eine Stimme direkt neben uns genervt: »Geht das etwa schon wieder los?«
    Erschrocken gab ich Gideon einen kleinen Schubs vor die Brust und starrte direkt in die Fratze des kleinen Wasserspeiers, der mittlerweile kopfüber von der Empore herabbaumelte, unter der wir standen. Genauer gesagt, war es der Geist eines Wasserspeiers.
    Gideon hatte meine Haare losgelassen und eine neutrale Miene aufgesetzt. Oh Gott! Was musste er denn jetzt von mir denken? In seinen grünen Augen war nichts zu erkennen, allenfalls leichtes Befremden.
    »Ich ... ich dachte, ich hätte etwas gehört«, murmelte ich.
    »Okay«, sagte er etwas gedehnt, aber durchaus freundlich.
    »Du

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