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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau
Autoren: Kerstin Gier
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sagte aber nichts. Das musste man ihm hoch anrechnen.
    »Es ist gleich halb sieben«, sagte Gideon zu mir, offensichtlich um neutrale Konversation bemüht. »Kein Wunder, dass ich vor Hunger sterbe.«
    Jetzt wo er es aussprach, merkte ich, dass es mir ganz ähnlich ging. Meinen Frühstückstoast hatte ich wegen der miesen Stimmung am Familienfrühstückstisch nicht mal halb heruntergewürgt und das Schulessen war wie immer ungenießbar gewesen. Mit einer gewissen Sehnsucht dachte ich an die appetitlich hergerichteten Sandwichs und Scones auf Lady Tilneys Teetafel, die uns leider entgangen waren.
    Lady Tilney! Jetzt erst fiel mir ein, dass Gideon und ich uns besser absprechen sollten, was unser Abenteuer im Jahr 1912 anging. Schließlich war die Sache mehr als aus dem Ruder gelaufen und ich hatte keine Ahnung, was die Wächter, die in Sachen Zeitreisemission so gar keinen Spaß verstanden, davon halten würde. Gideon und ich waren mit dem Auftrag in die Zeit gereist, Lady Tilney in den Chronografen einzulesen (die Gründe dafür hatte ich, ganz nebenbei bemerkt, noch immer nicht ganz kapiert, aber das Ganze schien ungeheuer wichtig zu sein; soweit ich wusste, ging es um die Rettung der Welt, mindestens). Bevor wir das allerdings erledigen konnten, kamen meine Cousine Lucy und Paul ins Spiel - ihres Zeichens die Bösewichte der ganzen Geschichte. Davon war zumindest Gideons Familie überzeugt und er mit ihnen. Lucy und Paul hatten angeblich den zweiten Chronografen gestohlen und sich damit in der Zeit versteckt. Seit Jahren hatte niemand von ihnen gehört - bis sie bei Lady Tilney auftauchten und unsere kleine Teegesellschaft ziemlich durcheinanderwirbelten.
    Wann allerdings genau die Pistolen ins Spiel gekommen waren, das hatte ich vor lauter Schreck verdrängt, aber irgendwann hatte Gideon eine Waffe an Lucys Kopf gehalten, eine Pistole, die er genau genommen gar nicht hätte mitnehmen dürfen. (Wie ich nicht mein Handy, aber mit einem Handy konnte man wenigstens niemanden erschießen!) Daraufhin waren wir in die Kirche geflüchtet. Aber die ganze Zeit war ich das Gefühl nicht losgeworden, dass die Sache mit Lucy und Paul nicht ganz so schwarz-weiß war, wie die de Villiers es gerne behaupteten.
    »Was sagen wir denn nun wegen Lady Tilney?«, fragte ich.
    »Naja.« Gideon rieb sich müde über die Stirn. »Nicht, dass wir lügen sollten, aber vielleicht wäre es in diesem Fall klüger, die eine oder andere Sache wegzulassen. Am besten, du überlässt das Reden komplett mir.«
    Da war er wieder, der altvertraute Kommandoton. »Ja, klar«, sagte ich. »Ich werde nicken und die Klappe halten, wie sich das für ein Mädchen gehört.«
    Unwillkürlich verschränkte ich die Arme vor der Brust. Warum konnte sich Gideon nicht einmal normal benehmen? Erst küsste er mich (und zwar nicht nur einmal!), um gleich darauf wieder einen auf Großmeister der Wächter-Loge zu machen?
    Wir schauten angelegentlich aus unseren jeweiligen Fenstern.
    Es war Gideon, der schließlich das Schweigen brach, und das erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung. »Was ist los, hat die Katze deine Zunge gestohlen?« So wie er es sagte, klang es fast verlegen.
    »Wie bitte?«
    »Das hat meine Mutter immer gefragt, als ich klein war. Wenn ich so verstockt vor mich hin geguckt habe wie du gerade.«
    »Du hast eine
Mutter?«
Erst als ich es ausgesprochen hatte, merkte ich, wie dämlich diese Frage war. Meine Güte!
    Gideon zog eine Augenbraue hoch. »Was hast du denn gedacht?«, fragte er amüsiert. »Dass ich ein Androide bin und von Onkel Falk und Mr George zusammengeschraubt wurde?«
    »Das ist gar nicht mal so abwegig. Hast du Babyfotos von dir?« Bei dem Versuch, mir Gideon als Baby vorzustellen, mit einem runden, weichen Pausbackengesicht und einer Babyglatze, musste ich grinsen. »Wo sind denn deine Mum und dein Dad? Leben sie auch hier in London?«
    Gideon schüttelte den Kopf. »Mein Vater ist tot und meine Mutter lebt in Antibes in Südfrankreich.« Für einen kurzen Moment presste er seine Lippen aufeinander und ich dachte schon, er würde wieder in sein Schweigen zurückfallen. Aber dann fuhr er fort: »Mit meinem kleinen Bruder und ihrem neuen Mann, Monsieur
Nenn-mich-doch-Papa
Bertelin. Er hat eine Firma, die Mikroteile aus Platin und Kupfer für elektronische Geräte herstellt, und offensichtlich läuft das Geschäft super: Seine protzige Jacht hat er jedenfalls
Krösus
genannt.«
    Ich war ehrlich verblüfft. So viele persönliche
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