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Saphirblau

Saphirblau

Titel: Saphirblau
Autoren: Kerstin Gier
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hast
mich
gehört«, sagte der Wasserspeier. »Du hast mich
gehört!«
Er war in etwa so groß wie eine Katze, sein Gesicht ähnelte ebenfalls dem einer Katze, allerdings hatte er zusätzlich zu seinen spitzen, großen Luchsohren auch noch zwei rundliche Hörner dazwischen, außerdem Flügelchen auf dem Rücken und einen langen, geschuppten Eidechsenschwanz, der in einem Dreieck mündete und aufgeregt hin und her peitschte. »Und du kannst mich auch sehen!«
    Ich gab keine Antwort.
    »Wir gehen dann besser mal«, sagte Gideon.
    »Du kannst mich sehen und hören!«, rief der kleine Wasserspeier begeistert, ließ sich von der Empore auf eine der Kirchenbänke fallen und hüpfte dort auf und nieder. Er hatte eine Stimme wie ein verschnupftes, heiseres Kind. »Ich hab's genau gemerkt!«
    Jetzt bloß keinen Fehler machen, sonst wurde ich ihn nie wieder los. Ich ließ meinen Blick betont gleichgültig über die Bänke gleiten, während ich zur Kirchentür ging. Gideon hielt mir die Tür auf.
    »Danke, sehr freundlich!«, sagte der Wasserspeier und schlüpfte ebenfalls hinaus.
    Draußen auf dem Bürgersteig blinzelte ich ins Licht. Es war bewölkt und die Sonne daher nicht zu sehen, aber meiner Schätzung nach musste es früher Abend sein.
    »Warte doch mal!«, rief der Wasserspeier und zupfte mich am Rock. »Wir sollten uns dringend unterhalten! Hey, du trampelst mir auf die Füße ... Tu nicht so, als ob du mich nicht sehen könntest. Ich weiß, dass du es kannst.« Aus seinem Mund kam ein Schluck Wasser geschossen und bildete eine winzige Pfütze an meinem Knopfstiefelchen. »Ups. 'tschuldigung. Passiert nur, wenn ich aufgeregt bin.«
    Ich sah an der Fassade der Kirche hinauf. Sie war vermutlich viktorianischen Baustils, mit bunten Glasfenstern und zwei hübschen verspielten Türmen. Backsteine wechselten sich mit cremeweißem Putz ab und bildeten ein fröhliches Streifenmuster. Aber so hoch ich auch schaute, am ganzen Bauwerk war keine einzige Figur oder gar ein Wasserspeier zu entdecken. Seltsam, dass der Geist hier trotzdem herumlungerte.
    »Hier bin ich!«, rief der Wasserspeier und krallte sich direkt vor meiner Nase ans Mauerwerk. Er konnte klettern wie eine Eidechse, das können sie alle. Ich starrte eine Sekunde auf den Ziegel neben seinem Kopf und wandte mich ab.
    Der Wasserspeier war nun nicht mehr so sicher, dass ich ihn wirklich sehen konnte. »Ach
bitte«,
sagte er. »Es wäre so schön, mal mit jemand anderem zu reden als mit dem Geist von Sir Arthur Conan Doyle.«
    Nicht unraffiniert, das Kerlchen. Aber ich fiel nicht darauf rein. Er tat mir zwar leid, aber ich wusste, wie lästig die kleinen Biester werden konnten, außerdem hatte er mich beim Küssen gestört und seinetwegen hielt Gideon mich jetzt wahrscheinlich für eine launische Kuh.
    »Bitte, bitte, biiiiiiiitte!«, sagte der Wasserspeier.
    Ich ignorierte ihn weiterhin nach Kräften. Meine Güte, ich hatte weiß Gott genug andere Probleme am Hals.
    Gideon war an den Fahrbahnrand getreten und winkte ein Taxi heran. Natürlich kam auch sofort ein freies. Manche Leute haben bei so was immer Glück. Oder so etwas wie natürliche Autorität. Meine Großmutter Lady Arista, zum Beispiel. Sie muss nur am Straßenrand stehen bleiben und streng gucken, schon machen die Taxifahrer eine Vollbremsung. »Kommst du, Gwendolyn?«
    »Du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen!« Die heisere Kinderstimme klang weinerlich, herzzerreißend. »Wo wir uns gerade erst gefunden haben.«
    Wären wir allein gewesen, hätte ich mich vermutlich dazu hinreißen lassen, mit ihm zu sprechen. Trotz der spitzen Eckzähne und der Klauenfüße war er irgendwie niedlich und wahrscheinlich hatte er nicht viel Gesellschaft. (Der Geist von Sir Arthur Conan Doyle hatte mit Sicherheit Besseres zu tun. Was hatte der überhaupt in London zu suchen?) Aber wenn man in Gegenwart von anderen Menschen mit Geistwesen kommuniziert, halten sie einen - wenn man Glück hat - für einen Lügner und Schauspieler oder aber - in den meisten Fällen - für verrückt. Ich wollte nicht riskieren, dass Gideon mich für verrückt hielt. Außerdem hatte der letzte Wasserspeierdämon, mit dem ich gesprochen hatte, so viel Anhänglichkeit entwickelt, dass ich kaum allein aufs Klo hatte gehen können.
    Also nahm ich mit steinerner Miene im Taxi Platz und guckte beim Anfahren starr geradeaus. Gideon neben mir sah aus dem Fenster. Der Taxifahrer musterte unsere Kostüme im Rückspiegel mit hochgezogenen Augenbrauen,
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