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Sanfter Mond über Usambara

Sanfter Mond über Usambara

Titel: Sanfter Mond über Usambara
Autoren: L Bach
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befürchtet, Menna könne ihr etwas nachtragen. Doch Menna plauderte fröhlich über allerlei Alltäglichkeiten, lobte Charlottes Kleid und das bezaubernde Hütchen und zeigte sich entzückt von der hübschen, lebhaften Elisabeth– alles schien in bester Ordnung zu sein. Nun endlich verspürte Charlotte wieder die Wärme der großen Familie, die Sicherheit, die diese Zusammengehörigkeit ihr einst vermittelt hatte. Sieben Kinder wimmelten jetzt im Haus herum, spielten Fangen auf den Fluren, warfen Bälle im Gemüsegarten, zankten sich, zerrten einander an den Haaren, jammerten, plärrten und steckten gleich wieder mit heißen Wangen beieinander. Allen voran Elisabeth, die die Geschenke an die Kinder austeilen durfte und die Gelegenheit nutzte, sich vor den Älteren zu spreizen. Taschenmesser für die Jungen, einen roten Gummiball für die kleine Fanny, Puppen mit echten Haaren, angezogen wie vornehme Damen– nicht einmal zu Weihnachten gab es hierzulande solche Herrlichkeiten.
    » Schließlich komme ich ja nur alle zehn Jahre heim « , scherzte Charlotte, die fast schon ein schlechtes Gewissen hatte.
    Sie selbst hätte nicht so reichlich eingekauft; es war George gewesen, der sie gestern dazu gedrängt hatte. Charlotte verstand, was hinter seinem Wunsch steckte: George hätte seinen eigenen Kindern in London nur allzu gern Geschenke gebracht, sie wiedergesehen und in die Arme geschlossen, doch Marie, seine geschiedene Frau, hatte auf seine diesbezügliche Bitte eine sehr deutliche Antwort folgen lassen. Falls er die Absicht habe, mit seiner neuen Ehefrau und der kleinen Tochter nach London zu reisen, schrieb sie, so seien Charlotte und Elisabeth jederzeit herzlich in ihrem Hause willkommen. Ein Wiedersehen mit seinen Kindern käme für George Johanssen jedoch nicht in Frage.
    Sie erhielten Maries Brief noch auf dem Schiff in Neapel. George hatte das Schreiben beim Frühstück geöffnet, es kurz überflogen und dann wortlos Charlotte gereicht. Sie hatte den Schmerz in seinen Augen gelesen und sich bemüht, ihn zu trösten. Es würde nicht immer so sein, Berta war schon achtzehn, in drei Jahren wäre sie volljährig, dann könnte sie selbst entscheiden, ob sie ihren Vater wiedersehen wollte. Johannes, der zwei Jahre jünger war als seine große Schwester, würde sich etwas länger gedulden müssen. Insgeheim aber war Charlotte unfassbar zornig auf ihre Cousine Marie, die sich vom Leben stets mit größter Selbstverständlichkeit nahm, was sie haben wollte. Marie verfügte über eine ganz wichtige Voraussetzung, um wahrhaft glücklich zu sein: Sie kannte kein Mitgefühl.
    Jetzt aber, inmitten des fröhlichen Trubels im Haus der Großmutter, keimte in Charlotte die Hoffnung auf, dass George hier in Leer einen kleinen Ersatz für das Verlorene finden konnte. Hier waren sie willkommen, man nahm sie herzlich und ohne Vorbehalte in die große Familie auf, in das warme Nest, das ein Mensch so nötig brauchte, der aus der Fremde in die Heimat zurückkehrte.
    Sie bestand darauf, Antje beim Abräumen des Geschirrs zu helfen, und ließ sich auch in der Küche nicht abweisen.
    » Ich habe mich jahrelang darauf gefreut, diese Teller abwaschen zu dürfen « , erklärte sie lachend. » Meine Güte– wie viele Erinnerungen steigen auf, wenn ich in dieser Küche stehe! «
    Gewiss waren es nicht nur angenehme Erinnerungen. Sie hatte mit ihrem ersten Ehemann Christian hier gesessen, zornig von ihm Aufklärung verlangt, als er nach dem beschämenden Konkurs wieder auftauchte, abgerissen und übernächtigt, ein Fremder und doch ihr Ehemann, dem sie bis zu diesem Tag vertraut hatte. Jetzt aber überwogen die schönen Erinnerungen, die Mahlzeiten in froher Runde, das heitere Schwatzen beim Gemüseputzen, die Eintracht mit Klara, die ihr immer so liebevoll und treu zur Seite gestanden hatte… Ach, wie sehr Klara ihr doch fehlte! Wie schade, dass sie jetzt nicht auch in Leer war.
    Cousin Paul ließ sich erst gegen Abend blicken, als Menna schon an Aufbruch dachte und sie den Kindern, die vom Toben schon wieder hungrig waren, in der Küche ein paar Brote schmierte. Charlotte kannte ihn kaum wieder. Sein Haar war an der Stirn licht geworden, auch erschien er ihr steif und viel schweigsamer als damals. Die Zeiten, in denen Paul mit Lehmklumpen nach den Mädchen geworfen und Spaß daran gefunden hatte, Charlotte mit ihrem exotischen Aussehen, das sie ihrer indischen Mutter zu verdanken hatte, aufzuziehen, schienen endgültig vorbei zu sein.
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