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Sanfter Mond über Usambara

Sanfter Mond über Usambara

Titel: Sanfter Mond über Usambara
Autoren: L Bach
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Seekrankheit kannte sie nicht, vermutlich kam sie nach ihrem Großvater, Kapitän Ernst Dirksen, der auf allen Weltmeeren zu Hause gewesen war. Charlottes blond gelockte Tochter war der Liebling der Passagiere der ersten und zweiten Klasse gewesen, hatte sich von den Damen bemuttern und beschenken lassen und den Herren Löcher in die Bäuche gefragt. Vor allem aber hatte sich George rührend um Elisabeth gekümmert. Mit nie versiegender Phantasie erfand er Spiele für das Mädchen, erzählte ihr selbst erdachte Gute-Nacht-Geschichten und sorgte nebenbei dafür, dass sie sich weiterhin in der Kunst des Schreibens und Rechnens übte. Der sonst so rastlose George Johanssen brachte im Umgang mit der Sechsjährigen eine solche Geduld auf, dass Charlotte ihren Liebsten kaum wiedererkannte.
    Als sie vorgestern in Hamburg an Land gingen, war Elisabeth noch übermütig vor ihnen hergelaufen, am Abend des ersten Tages auf deutschem Boden war die Kleine jedoch fiebrig und wollte Charlotte nicht von der Seite weichen. Vielleicht fehlte ihr die sichere, überschaubare Gemeinschaft, die sie auf dem Reichspostdampfer umgeben hatte, möglicherweise ängstigte sie auch das Gewimmel der großen deutschen Stadt. In der Nacht, die sie zu dritt in einem geräumigen Hotelzimmer verbrachten, lag das Mädchen stundenlang wach und redete von der Plantage am Kilimandscharo, die einst ihrem leiblichen Vater, dem Baron Max von Roden, gehört hatte, bevor dieser bei einem furchtbaren Unfall ums Leben gekommen war, und die jetzt ihre Mutter mithilfe zweier zuverlässiger Verwalter leitete. Sie sprach von ihrer schwarzen Kinderfrau Hamuna, die sie so schrecklich vermisste, von Sadalla, dem Hausdiener, von ihren Ziegen und dem kleinen Hund, die sie hatte zurücklassen müssen. Auch heute auf der langen Zugfahrt hatte sie keinen Augenblick geschlafen.
    » Warum kommt George nicht mit nach Leer? « , fragte sie ihre Mutter jetzt.
    » Er will zuerst einige Bekannte in Berlin aufsuchen, Elisabeth. Das weißt du doch. Es ist sehr wichtig für seine Bücher und Zeitungsartikel. «
    » Ich wünschte, er wäre bei uns! «
    Charlotte teilte den Wunsch ihrer Tochter. Es war erstaunlich, albern fast, wie sehr sie unter dieser Trennung litt. George würde doch nur wenige Tage in Berlin bleiben und dann zu ihnen nach Leer reisen, dennoch empfand Charlotte seine Abwesenheit als schmerzlich. Der intensive Blick seiner grauen Augen, das verständnisvolle Lächeln, sein Arm, den er immer wieder um ihre Schultern legte– all das fehlte ihr unendlich. Sie hatten einander so lange aus der Ferne begehrt, so viele Hindernisse überwinden müssen, um sich endlich zu ihrer Liebe zu bekennen, dass sie die Furcht nie ganz abschütteln konnte, George plötzlich wieder zu verlieren. Als wäre er ein Traumbild, das beim Aufwachen zerplatzte. » Sing das Lied, das Hamuna immer singt, wenn ich schlafen soll, Mama… «
    Elisabeth war zu Charlotte auf die Bank geglitten und machte Anstalten, auf ihren Schoß zu klettern. Sie hatte das selten getan in letzter Zeit, auf dem Schiff hatte sie sogar forsch verkündet, kein » Schoßkind « mehr zu sein, und nur George ab und an gestattet, sie auf den Knien zu schaukeln.
    » Wimbo wa watoto? Hamunas Kinderlied? «
    » Kein Kinderlied. Matumbuizo. Wie heißt das auf Deutsch, Mama? «
    » Ein Wiegenlied, mein Schatz. «
    Charlotte begann leise zu summen, fand dann die Worte und bemühte sich, die dunkle, ein wenig raue Stimme der schwarzen Kinderfrau nachzuahmen. Hamuna kannte zahllose Lieder, die alle recht ähnlich klangen, vermutlich hatte sie sie selbst erfunden. Sie erzählten von Mädchen, die mit Krügen zur Wasserstelle gingen, von boshaften Affen und sprechenden Hyänen, von einem Baobab-Baum, den der große Geist aus dem Boden gerissen und mit den Wurzeln nach oben in die Erde gesteckt hatte. Charlotte hatte oft über Hamunas Lieder gelächelt, nun aber spürte sie in der schlichten Melodik eine erlösende Kraft. Es war, als mischten sich altbekannte Klänge in das Rattern des Zuges, das rhythmische Händeklatschen der Schwarzen, die hohen, trillernden Rufe der Frauen, das dumpfe Geräusch der Trommeln. Afrika stieg aus den Gesängen auf und hüllte sie ein, ließ sie den Atem des Meeres und den zarten Duft der Muskatblüte atmen, wehte ihnen den heißen Staub der Savanne entgegen und den feuchten, erdigen Geruch der Urwälder.
    Waren sie etwa eingeschlafen? Das Schnaufen und Pfeifen des ruckelnden Wagens verstummte, und
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