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Sanft wie der Abendwind

Sanft wie der Abendwind

Titel: Sanft wie der Abendwind
Autoren: Catherine Spencer
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nie bestritten. Allerdings habe ich auch nicht erwartet, dass Sie sich mir an den Hals werfen.“
    „Das war keine Absicht, sondern ein bedauerliches Missgeschick.“
    Sebastian funkelte sie an. „Ich finde es bedauerlich, dass Sie überhaupt hier sind.“
    Er hatte gedacht, er sei gegen sie gewappnet, aber als sie ihn nun zutiefst verletzt ansah, empfand er Mitleid, und das war gefährlich. Verdammt, warum war sie nicht in Vancouver geblieben, wo sie hingehörte?
    Er biss die Zähne zusammen und knipste die Nachttischlampe aus, dann verschränkte er die Hände im Nacken und blickte starr zur Decke. Im Zimmer war es nicht völlig dunkel, denn die dünnen Vorhänge ließen den schwachen Lichtschimmer einer Laterne auf dem Parkplatz durch.
    Eine halbe Stunde lang lagen sie schweigend und angespannt nebeneinander. Lily hatte die Arme an die Seiten gepresst und atmete gleichmäßig, schlief aber noch nicht. Er sah ihre Augen glänzen – und dann Tränen, die ihr über die Wangen rollten. Anscheinend wollte sie sich ihren Kummer nicht anmerken lassen, denn sie drehte sich auf die Seite.
    So, jetzt ist die Gefahr endlich vorbei, dachte Sebastian erleichtert, da hörte er Lily seufzen und kurz darauf schluchzen.
    Das ertrug er nicht. „Warum weinen Sie?“
    „Weil ich Mom und Dad vermisse. Ich dachte, ich hätte mich mit ihrem Verlust endlich halbwegs abgefunden, aber manchmal trifft es mich wieder wie ein Schlag. Wahrscheinlich bin ich einfach übermüdet. Sonst weine ich nicht so viel.“
    Sie klang so bekümmert, dass er sie unbedingt trösten wollte. „Es tut mir leid, dass ich mich vorhin wie ein gefühlloser Klotz benommen habe. Ich weiß, wie schlimm es ist, einen Elternteil zu verlieren. Mein Vater starb, als ich acht Jahre alt war.“
    Lily drehte sich wieder auf den Rücken. „Es tut weh, egal, wie alt man ist, stimmt’s?“
    „Ja.“ Sebastian war sich nicht sicher, ob es ihm gefiel, dass sie wieder so dicht neben ihm lag und ihn berührte, aber es war ihm auch nicht wirklich unangenehm. „Zuerst wollte ich nicht glauben, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Ich habe in Menschenmengen nach ihm gesucht, und wenn an der Tür geklingelt wurde, hoffte ich jedes Mal, dass er davorstehen würde. Das erste Weihnachtsfest ohne ihn, mein Geburtstag, die Ferien – das alles ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Glühend habe ich die Kinder beneidet, die noch beide Eltern hatten.“
    „Sind Sie ein Einzelkind, Sebastian?“
    „Ja.“ Er erzählte weiter, wie er allmählich den Verlust seines Vaters überwunden hatte. Plötzlich fiel ihm auf, dass er nur von sich redete, statt die günstige Gelegenheit zu nutzen, mehr über Lily zu erfahren. „Sie hatten, so viel ich weiß, eine sehr enge Beziehung zu Ihren Eltern“, bemerkte er. „Haben Sie noch zu Hause gewohnt, als sie verunglückten?“
    Als sie nicht antwortete, blickte Sebastian zu ihr und stellte fest, dass sie eingeschlafen war. Sie sah sehr jung und völlig arglos aus.
    Er wünschte, er könnte ebenfalls einschlafen, doch seine Gedanken waren in Aufruhr. Gründete sein Misstrauen gegen Lily auf harten Fakten oder nur auf Vermutungen? Die Frage verunsicherte ihn, und das gefiel ihm gar nicht.
    Lily war eine junge Frau, die eine persönliche Tragödie erlitten hatte und nichts weiter wollte, als endlich ihren leiblichen Vater kennenzulernen. Oder trog der Schein? Als Jurist hielt er, Sebastian, nichts davon, sich vorschnell in Sicherheit zu wiegen.
    Na schön, Lily hatte einige Tränen vergossen, was nur bewies, dass sie nicht völlig gefühllos war. Sie blieb jedoch weiterhin eine unbekannte Größe, eine Frau mit undurchschaubaren Plänen.
    Hugos Einladung nach Stentonbridge hatte sie begeistert angenommen und erwähnt, dass es zurzeit keinen Grund für sie gebe, in Vancouver zu bleiben. Außerdem hatte sie gesagt, es hätte keinen günstigeren Moment geben können für die Entdeckung, dass er ihr Vater sei.
    Warum günstig? Und günstiger für wen? Bestimmt nicht für Hugo, dem Lilys geldgierige Mutter genug Probleme bereitet hatte. Er hatte lange gebraucht, um den Kummer zu überwinden und wieder fähig zu werden, das Leben zu genießen. Keine „verlorene Tochter“, die plötzlich auf der Schwelle stand, durfte ihm das neu gefundene Glück vergällen! Nicht solange er, Sebastian Caine, da war und die Ereignisse im Auge behielt!
    Lily seufzte im Schlaf und streckte die nackten Beine unter der Decke hervor.
    Rasch blickte Sebastian auf die
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