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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus
Autoren: Simon Toyne
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den Bewohnern die Arbeit ja abnehmen. Was Liv betraf, so war es ihr Wissen über Pflanzen, das ihr den Job hier überhaupt erst eingebracht hatte.
    »Adamsen, Sie kennen sich doch mit Pflanzen und dem ganzen Scheiß aus«, hatte das Gespräch recht prosaisch begonnen, als Rawls Baker, Verleger und Chefredakteur des New Jersey Inquirer in einer Person, sie Anfang der Woche im Aufzug in die Enge getrieben hatte. Und kaum hatte Liv sich versehen, da war sie weg von den Verbrechen gewesen, ihrem eigentlichen Fachgebiet, und hatte den Auftrag erhalten, für die Gesundheitsbeilage der Sonntagsausgabe zweitausend Worte zum Thema ›Die natürliche Geburt – wie Mutter Natur es vorgesehen hat‹ zu schreiben. Hier und da hatte sie zwar schon einmal einen Gartenartikel geschrieben, aber mit Medizin hatte sie sich noch nie auseinandergesetzt.
    »Soweit ich das sehe, hat das nicht viel mit Medizin zu tun«, hatte Rawls gesagt, als er wieder aus dem Aufzug gestapft war. »Suchen Sie sich einfach jemanden, der wenigstens noch ansatzweise bei Verstand ist und sein Kind trotzdem in irgendeinem Teich oder auf einer Waldlichtung zur Welt bringen will, und das ganz ohne Schmerzmittel. Machen Sie eine rührende Geschichte daraus, und schmücken Sie das Ganze mit ein paar Fakten aus. Und es sollten ganz stinknormale Leute sein. Ich will nichts von irgendwelchen Hippies lesen.«
    Liv fand Bonnie über ihre üblichen Kontakte. Bonnie war Verkehrspolizistin bei der Jersey State Police – weiter konnte nun wirklich niemand von einem Hippie entfernt sein. Man konnte schlicht nicht ›Love and Peace‹ proklamieren und sich gleichzeitig dem täglichen Albtraum auf einer Kreuzung in New Jersey aussetzen. Doch nun saß Bonnie strahlend auf ihrem L-förmigen Sofa, drückte die Hand ihres logisch veranlagten Ehemannes und sprach voller Leidenschaft über die Vorteile einer natürlichen Geburt wie eine typische Müslifresserin.
    Ja – es war ihr erstes Kind ... Kind er genau genommen, denn sie erwartete Zwillinge.
    Nein – sie kannte das Geschlecht nicht. Es sollte eine Überraschung sein.
    Ja – Myron hatte ein paar Bedenken. Immerhin arbeitete er ja in der Wissenschaft, und ja – sie hatte über eine Krankenhausgeburt nachgedacht, doch da Mütter schon seit Jahrtausenden ihre Kinder ohne moderne Medizin zur Welt brachten, sei sie fest davon überzeugt, es sei besser für die Babys, der Natur ihren Lauf zu lassen.
    »Sie bekommt die Babys«, fügte Myron in seiner sanften, jungenhaften Art hinzu, während er seiner Frau übers Haar streichelte und sie liebevoll anlächelte. »Ich muss ihr nicht sagen, was das Beste für sie ist.«
    Irgendetwas an der rührenden Intimität der beiden durchbrach Livs gutgelaunte Fassade, und entsetzt bemerkte sie, wie ihr Tränen über die Wangen rannen. Sie entschuldigte sich bei Bonnie und Myron, als beide ihr sofort zur Seite eilten, und schließlich gelang es ihr, sich gut genug wieder zusammenzureißen, um das Interview zu Ende zu führen.
    Anschließend fuhr Liv auf direktem Weg nach Hause, ließ sich angezogen auf ihr ungemachtes Bett fallen und lauschte dem Bewässerungssystem ihrer Pflanzen, dem einzigen Hinweis darauf, dass sie ihr Leben mit anderen Lebewesen teilte. Schließlich ließ sie die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren, wickelte sich in ihre Decke und zitterte vor Kälte, als könne nichts und niemand das Eis der Einsamkeit schmelzen.

K APITEL 12
    Kathryn Mann lenkte den Minibus in den kleinen Hof eines großen Stadthauses und brachte ihn in einer Staubwolke zum Stehen. Dieser östliche Teil der Stadt war noch immer als Gartenbezirk bekannt, auch wenn die grünen Felder, die ihm einst seinen Namen gegeben hatten, schon längst verschwunden waren. Selbst von der Rückseite strahlte das Haus noch eine Aura verblasster Größe aus. Die gleichen makellosen honigfarbenen Steine, aus denen auch die Kirche und ein Großteil der Altstadt gebaut waren, lugten unter dem Dreck der Luftverschmutzung hervor.
    Kathryn stieg aus und ging an dem leeren Fahrradständer neben dem Brunnen vorbei, aus dem die Bewohner einst Frischwasser geschöpft hatten. Sie fummelte an ihrem Schlüsselbund herum, und ihr Herz hämmerte noch immer, denn auf dem Weg hierher hätte sie vor lauter Hektik fast einen Unfall gebaut. Schließlich fand sie den richtigen Schlüssel, steckte ihn ins Schloss und öffnete die Hintertür.
    Im Inneren war es kühl und dunkel. Die Tür schloss sich hinter ihr, und Kathryn gab
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