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Sanchas Hofnarr (German Edition)

Sanchas Hofnarr (German Edition)

Titel: Sanchas Hofnarr (German Edition)
Autoren: Helene Luise Köppel
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Kopf weit in den Nacken gelegt, starrte sie wie gebannt hinauf, wo vom Knie des alten Galgens die Schlinge baumelte. Bedauerlicherweise hing dort nie jemand. Manchmal saß allerdings die weißgraue Eule auf dem Galgen, die sonst unter dem Dach hauste. Sancha mochte die Eule. Sie hielt Zwiesprache mit ihr.
    Bei einem dieser Ausflüge hatte sich Sancha dem Aufseher des Turms zu erkennen gegeben und ihm befohlen, sie durch das „Angstloch“ sehen zu lassen. Das Loch war mit schweren Eisenstäben vergittert gewesen und die Gefangenen in der Tiefe hatten unflätige Flüche gebrüllt, mit ihren Ketten gerasselt und ihr mit der Faust gedroht.
    Erschüttert, auch wegen des Gestanks, war Sancha aus dem Turm geflohen und hatte sich draußen in den Schatten gesetzt, den Rücken an einen alten Schuppen gelehnt, um nachzudenken. Der Versuch, die Schreie den Gesichtern zuzuordnen, die sie noch immer im Kopf hatte, misslang. Plötzlich vernahm sie hinter sich ein Geräusch. Als sie aufsprang, wäre ihr fast die Bank, eine wacklige Bohle, auf die Fersen gefallen. Was war das? Befand sich in der Hütte eine Katze mit Jungen?
    Neugierig spähte sie durch ein Astloch. Ein helles blaues Auge starrte in ihr braunes! Mit einem Aufschrei fuhr sie zurück. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. War einer der Todgeweihten aus dem Loch ausgebrochen und hatte sich hier versteckt?
    Sancha wäre nicht sie selbst gewesen, wenn sie die Wachen gerufen hätte.
    „Wer bist du?“, fragte sie stattdessen neugierig und riskierte einen weiteren Blick.
    „Hagelstein mag mein Name sein“, gab ihr eine spöttische, aber wohlklingende Stimme zur Antwort.
    „Aglstein? Aglstein? Merkwürdiger Name. Ich nenne dich Blauauge. Lebst du oder versteckst du dich hier, Blauauge?“
    Sie hörte einen tiefen Seufzer. „Es gibt etliche, die durchziehen das Land gleich wie eine Laus ein` alten Belz, junge Dame, allein Ehr` und Herrlichkeit dadurch zu erlangen, dass ...“
    Sancha konnte nicht anders, sie musste lachen. „Ehr` und Herrlichkeit für eine Laus im Pelz? Du sprichst so komisch, wo kommst du her?“
    „Aus tiutschen Landen mag ich kommen, Blitz und Donner, wo es derlei blau Augen vil gibt, und eyn Wort oder drey weiß ich wohl in deiner Sprach zu sprech`, auch wenn die Wort` nicht oft recht sind. Ich studier` vil Jahr an hohen Schulen, bis ich möcht` reisen in ferne Lender, doch zuvor zum finstern Stern beim San Jacob zu Compostel.“
    „Ach so, du bist ein Wallfahrer auf dem Weg zum Heiligen Jakobus!“
    „Das möcht` so sein, hungrig und durstig bin ich auch.“
    Sancha kicherte. Das blaue Auge redete mindestens ebenso schnell wie der „Pferdeschwanz-Fall“ in der Sierre-Madre sein Wasser vergoss. Was sie sich irgendwann zusammenreimte, war, dass ihn ein Hund in die Wade gebissen hatte. In der Hoffnung, ein bestimmter Ochsenkarren bringe ihn hinaus aufs Land, hatte er sich unter der Ladung versteckt, bei Einbruch der Dunkelheit jedoch festgestellt, dass er sich auf dem streng bewachten Gelände des Castillos befand.
    Er würde gern ein paar Tage hierbleiben, in dieser Hütte, hatte "Blauauge" gemeint, wenigstens so lange bis die Wunde verheilt sei und er wieder laufen könne, doch nachdem er in Zaragoza niemanden kenne, müsse er wohl oder übel, über kurz oder lang, verhungern und verdursten. Ach, aber zuvor hätte er noch ein wirklich dringendes Bedürfnis, das er nicht hier in der Hütte verrichten wolle ...
    Sancha hatte es als ihre Christenpflicht angesehen, einem Pilger zu helfen. Sie verbarg den rotseidenen Beutel, den sie mit sich herumschleppte, unter ihrem Umhang, gab sich dem Mann gegenüber als Küchenmagd aus und erklärte ihm den Weg zu den Latrinen, denn das erschien ihr als das Vordringlichste. „Du kannst jetzt rauskommen. Die Luft ist rein.“
    Mit einem erleichterten Aufstöhnen und einem neuerlichen „Blitz und Donner!“ war ein langer Kerl aus dem Verschlag gestürzt, das Haar gelber noch als die Ginsterblüte im Frühling, und in höchster Eile an ihr vorüber in Richtung Steg gehumpelt.
    „Und wenn dich unterwegs einer aufhält, Blauauge“, hatte sie ihm hinterher gerufen, „so sage, Sancha habe es dir erlaubt. Mich kennt hier jeder!“
    Von dieser Stunde an hatte sie Hagelstein unter ihre Fittiche genommen, ihm sauberes Linnen zum Verbinden seiner Wunde gebracht, frische Kleidung, die sie aus der Gesindekammer stahl, Wasser, Wein, Brot und Käse. Dieser Mensch gehörte ihr, ihr ganz allein. Bald saß sie im
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