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Salz der Hoffnung

Titel: Salz der Hoffnung
Autoren: Patricia Shaw
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Es schien irgendwelche Schwierigkeiten zu geben. Die Direktorin schlug ein dünnes Büchlein auf und entnahm ihm einige Blätter. Regal sah auf den Wangen der Dame zwei rote Flecken brennen, außerdem hielt sie den Blick gesenkt, während sie in höflichem Tonfall, der seltsam aufgesetzt wirkte, mit Großmutter sprach.
            »Vielleicht handelt es sich lediglich um ein Mißverständnis«, murmelte sie. »Wie gesagt, ich hatte angenommen, die junge Dame sei Ihre Tochter.«
            »In meinem Alter wohl kaum.« Großmutter lächelte, doch Regal hörte eine eigenartige Anspannung in ihrer Stimme.
            »Aber in diesem Sinne haben sie den Aufnahmeantrag ausgefüllt, Mrs. Hayes.«
            »Es macht doch letztlich keinen Unterschied …« Großmutter hob leicht die Schultern.
            »Doch, allerdings. Der Schulrat hat mich auf diese Angelegenheit hingewiesen. Man macht mich für diesen Irrtum verantwortlich.«
            »Meine Güte, es ist doch wirklich keine große Affäre«, versicherte Großmutter beschwichtigend. »Und ganz einfach zu erklären: Regal ist das Kind unserer Tochter. Unserer verstorbenen Tochter Polly.«
            Regal nickte. Polly, ganz recht. Die wunderschöne Dame, die bei ihrer Geburt gestorben war.
            Die Direktorin spitzte die schmalen Lippen, raschelte mit ihren Papieren und sah Großmutter scharf an. Ein argwöhnischer, anklagender Blick. Regal sollte ihn niemals vergessen. »Mrs. Hayes, wenn dies das Kind ihrer Tochter ist, wieso ist sein Name dann Hayes?«
            Während Großmutter noch an ihrem Handschuh zupfte, konnte Regal nicht mehr an sich halten. »Wie soll ich denn sonst heißen?« platzte es aus ihr heraus.
            »Sei still«, befahl Großmutter, ohne die Frage zu beantworten.
            »Vielleicht könnten Sie uns ja Regals Geburtsurkunde vorlegen«, schlug die Direktorin vor, aber Großmutter schüttelte den Kopf. »Das ist zu schwierig. Sie wurde in Halifax in Kanada geboren, ist aber hier in Boston aufgewachsen.«
            »Dann könnten Sie uns doch sicher den Namen des Vaters für unsere Akten mitteilen.«
            Regal horchte auf. Sie war immer davon ausgegangen, daß ihr Vater ebenfalls tot sei, darum hatte sie nie viel Sinn darin gesehen, seinen Namen zu kennen, und zu Hause sprachen sie immer nur von Polly.
            Großmutter schien es jetzt ebenfalls zu warm zu sein. »Sie verstehen doch sicher, daß diese Dinge …«
            Die Direktorin räusperte sich, und der Laut drückte Mißbilligung aus. »Es ist keine Frage des Verstehens, Mrs. Hayes, sondern der Gepflogenheiten an dieser Schule. Wir unterrichten hier junge Damen aus den besten Familien Bostons. Ich bedaure Ihnen mitteilen zu müssen, daß wir Ihrem Aufnahmeantrag nicht entsprechen können.«
            »Was reden Sie da!« schrie Mrs. Hayes. »Sie haben bereits das Schulgeld für das erste Halbjahr erhalten und eine sehr großzügige Spende von Mr. Hayes noch dazu.«
            »Das wird Ihnen alles zurückerstattet«, erwiderte die Frau. »Hätten Sie den Aufnahmeantrag von vornherein wahrheitsgemäß ausgefüllt, wäre es zu dieser peinlichen Situation gar nicht erst gekommen. Sie müssen doch gewußt haben, daß wir keine unehelichen Kinder aufnehmen, wo wir hier den strengen Maßstäben der Wesley-Methodistenkirche folgen.«
            »Wie können Sie es wagen …« Mrs. Hayes packte Regal und zerrte sie aus ihrem Stuhl. »Und Sie nennen sich Christen! Erstatten Sie Mr. Hayes umgehend sein Geld, Madam, sonst schicken wir Ihnen den Sheriff auf den Hals!«
            So schnell ging es aus dem Gebäude und auf die Straße hinaus, daß Regal kaum Schritt halten konnte. Auf dem ganzen Heimweg weinte Großmutter, was Regal angst machte, und immerzu wiederholte sie: »Nie im Leben bin ich so gedemütigt worden. Niemals!«
            Sie riß das Tor auf und stieß Regal hindurch. Die neue Schule und die Geburtstagsfreude waren vergessen. Großmutter hämmerte gegen die Tür, statt ihren Schlüssel zu benutzen. Sie sah auf Regal hinab, ihr Gesicht rot vor Zorn. »Diese Polly. Ich wünschte, sie wäre nie geboren worden!«
            Regal zuckte zusammen. Ganz gleich, was Großmutter sagte, sie verstand mit schmerzhafter Deutlichkeit, daß sie in Wahrheit gar nicht die arme Polly meinte, sondern sie, Regal. Sie allein trug die Schuld an allem.
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