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Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa
Autoren: Wladimir Kaminer
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einen multikulturellen Hintergrund? Diese Frage wird allenthalben zu einer Sache der Selbstbehauptung. Die Kinder prahlen bereits in der Schule mit ihrem multikulturellen Hintergrund. Gut, Kinder geben gerne an, sie prahlen mit allem, was ihnen zur Verfügung steht, und viel ist es nicht.
    »Komm, Orhan, ich zeig dir die Muckis von meinem Vater«, hörte ich neulich meinen Sohn auf dem Schulhof sagen.
    »Fass sie an, Orhan!«, forderte mein Sohn einen mir unbekannten Jungen auf, mich anzufassen.
    Ich wäre vor Scham fast im Boden versunken. »Du darfst nicht mit meinen Errungenschaften auf dem Schulhof hausieren gehen«, warnte ich Sebastian, führte jedoch Orhan brav meine Muckis vor. Er zeigte sich ganz und gar unbeeindruckt.
    »Mein Vater«, sagte er gewichtig, »hat Haare an den Beinen, die sind so lang!«
    Er zeigte dabei eine Haarlänge, die seinem Vater eine freie Bewegung auf den Berliner Straßen ganz sicher unmöglich gemacht hätte.
    »Das ist lächerlich«, sagte ich zu meinem Kind. »Muckis, Haare – entscheidend ist doch nur der Intellekt. Lass uns nach Hause gehen, Filme angucken.«
    Sebastian fand aber den Vorteil des haarigen Vaters gar nicht lächerlich. Er sah mich kritisch an auf der Suche nach etwas, was er dem haarigen Vater entgegensetzen könnte. Er fand aber nichts und gab auf. Der Sohn des haarigen Vaters lächelte – ein Siegerlächeln. Wir verließen den Schulhof, diesen Jahrmarkt der Eitelkeiten. Wenig später prahlten die Kinder in der Mittagspause mit ihrer Identität.
    »Ich bin Russe«, behauptete Sebastian.
    »Ich bin Serbe«, sagte Miloslav.
    »Ich bin Schwabe«, rief Peter.
    »Und ich bin Türke«, verkündete Orhan stolz.
    »Das ist aber ganz schlecht«, klärte ihn Sebastian auf. »Denn auf die Türken ist kein Verlass.« Das habe er aus einem dicken Buch von seinen Eltern vorgelesen bekommen und später in einem gleichnamigen Film mit eigenen Augen gesehen.
    Am nächsten Tag war in der Schule großes Drama. Ich wurde von Sebastians Klassenlehrerin aufgehalten. Der Vater von Orhan war natürlich auch anwesend. Er bewies außerordentliche Beherrschung, obwohl sich ihm wahrscheinlich sämtliche Beinhaare sträubten. Höflich erkundigte er sich, welche rassistische Schweineliteratur bei uns den Kindern vorgelesen werde, in der stehe, dass auf Türken kein Verlass sei.
    Ich wäre beinahe vor Scham im Boden versunken – zum zweiten Mal innerhalb einer Woche. Die Kinder weinten, die Klassenlehrerin brannte mir mit ihren Brillengläsern Löcher ins Hemd. Der sportliche Vater von Orhan wird mich wahrscheinlich draußen gleich verkloppen und das zu Recht, dachte ich. Ich fühlte mich äußerst unwohl. Innerhalb von zehn Minuten hatten wir jedoch festgestellt, welches Buch Sebastian vorgelesen bekommen und welchen Film er gesehen hatte. Es war Der Herr der Ringe! Dort sagte einer der Helden, auf Orken sei kein Verlass. Sebastian hatte die Türken mit Orken verwechselt. Wir sind fürs Erste im Guten auseinandergegangen, ohne Klopperei. Türken gut, Orken schlecht.
    Zu Hause leistete ich Aufklärungsarbeit. Die Menschen unterscheiden sich nicht durch ihre Nationalität oder Hautfarbe, sondern nur in ihren individuellen Eigenschaften, erklärte ich. Die Tugenden, die Taten zählen und nicht ein multikultureller Hintergrund, den es nur zum Angeben gibt. Die Kinder nickten. Ich erzählte weiter und dachte dabei über Rassismus nach, wie tief er sitzt, diese Ausgrenzung und Erniedrigung des anderen um jeden Preis. Oft wirkt er überhaupt nicht böse, sondern im Gegenteil nett, naiv, beinahe sympathisch. Und trotzdem ekelhaft. Ich dachte an meine Lesereisen – sechzehn Jahre in Deutschland unterwegs, hier alt geworden, aber oft, wenn ich in einer kleinen westdeutschen Weinkolchose eine Lesung habe, kommen irgendwelche Hobbits aus dem Publikum zur Bühne, um mich »herzlich bei uns in Deutschland« willkommen zu heißen. Manchmal fragen sie: »Wie gefällt es Ihnen bei uns in Deutschland?«, oder sie schenken mir eine Packung Gummibärchen und wünschen »einen guten Aufenthalt in Deutschland«.
    »Wie gefällt es denn Ihnen eigentlich bei uns in Deutschland?«, könnte ich sie zurückfragen, tue es aber nicht, um die Menschen nicht zu verwirren, die sich so weltoffen und tolerant geben. Sie kommen in der tiefsten Überzeugung auf mich zu, dass nur sie allein Deutschland sind und alles um sie herum dichter Wald. Der Begriff der Toleranz geht hier immer von einem Überlegenheitsgefühl aus,
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