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Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa
Autoren: Wladimir Kaminer
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– irgendwo.
     

Kommunale Bildungsausgaben
    »Bildung ist alles, was man hat«, sagt meine Frau, »an ihr darf man auf keinen Fall sparen.« In dieser Ansicht stimmt meine Frau mit dem deutschen Nationalatlas überein. In der grafischen Darstellung der wichtigsten Daseinsgrundfunktionen in Deutschland nimmt Bildung einen Ehrenplatz zwischen Erholung und Fortpflanzung ein. Nur wer ist für die Bildung zuständig? Und macht Bildung wirklich klug? Bei den älteren Leuten, die nicht unbedingt zwanzig Semester an der Uni absolviert haben, weiß man zumindest, was sie gelernt haben und was nicht. Die Jüngeren dagegen nutzen ihre sogenannte Bildung, um die eigene Unwissenheit clever zu kaschieren. Unter ihrer dünnen Bildungsschicht tun sich aber oft schwarze Löcher des Nichtwissens auf.
    Auch der Bildungsbegriff wurde im Laufe der Geschichte immer wieder neu definiert. Früher war er mystisch-religiös. Das war eine glückliche Zeit für die überzeugten Schulschwänzer: Alle Bildung kam von Gott, der Mensch brauchte sich keine Gedanken darüber zu machen – je weniger er sich um das irdische Leben kümmerte, desto gebildeter war er. Später entstand ein organologischer Bildungsbegriff. Man nahm an, alles Wissen befände sich bereits von Geburt an im Menschen, und dieser müsse bloß seinen »bildenden Geist« entfesseln, um sich in ein Genie zu verwandeln. Heute dagegen leben wir mit einem pragmatischen pädagogisch-aufklärerischen Bildungsbegriff. In unserem Zeitalter kommt der Mensch wissensmäßig völlig nackt, als Analphabet und Hohlkopf auf die Welt. Aufgabe der Gesellschaft ist es also, alle bereits vorhandenen Wissensbestände in die kleinen Köpfe zu stopfen, damit die Kinder zu halbwegs vernünftigen Bürgern heranwachsen. Zu diesem Zweck werden spezielle Fachkräfte ausgebildet und spezielle Einrichtungen – Schulen – vom Staat finanziert. Die Bildungsteilnahme ist ab dem sechsten Lebensjahr Pflicht und dauert ein halbes Leben, bei Bedarf auch länger.
    Jemand, der im erwachsenen Leben Pech hat und seinen Job verliert, wird nicht selten von den Behörden zu einer Umschulung verpflichtet und drückt dann bis zur Rentenreife die Schulbank. Doch in erster Linie sind die Eltern von Grundschulkindern vom Thema Bildung betroffen. Viele Eltern denken, ihre Kinder lernen in der Schule nur Mist. Diese Erwachsenen sind bei dem veralteten humanistischen Bildungsbegriff stehengeblieben. Sie glauben, ihre Kinder seien etwas Besonderes, kleine Genies, die ohne die richtigen Entfaltungsmöglichkeiten leiden, weil diese in einer normalen Schule nicht vorhanden sind.
    Ich gebe zu, auch wir waren als Eltern lange Zeit dieser Idee verfallen. Als meine Tochter auf die Grundschule ging, schleppte sie jeden Morgen einen schweren Ranzen in den Unterricht. Doch jedes Mal, wenn ich sie später fragte: »Was habt ihr denn heute gelernt?«, antwortete sie entweder: »gebastelt« oder: »gemalt« oder – ganz altklug: »Wir machen ein Projekt.« Fast jeden Tag bekamen wir die Früchte ihrer Basteleien geschenkt. Zusammen mit dem Brief der Klassenlehrerin, wir sollten dringend noch mehr Papier, Plastilin und Farbe kaufen, die seien nämlich schon wieder alle.
    Auch zu Hause malten die Kinder, schnitten und klebten bis zur Erschöpfung. In den pädagogisch-aufklärerischen Erziehungsbüchern steht, man müsse die Kinder immer für ihre Arbeit loben, weil sie sich sonst verunsichert fühlten und keine Lust hätten, weiterzumachen.
    »Das hast du aber toll gemacht«, sagten wir also, »so eine wunderschöne Katze haben wir noch nie gesehen. Schade nur, dass sie bloß ein Bein hat und einen Fernseher mit Ohren statt einem Kopf.«
    »Ihr seid blöd«, konterte meine Tochter. »Das ist keine Katze, das ist eine Meerjungfrau!«
    Um dieser Bastelepidemie etwas entgegenzusetzen, griffen wir, wie viele andere Eltern auch, zu privaten Lehrmaßnahmen. Die Französischlehrerin mussten wir allerdings gleich nach zwei Tagen wieder entlassen, weil sie nur Französisch mit uns redete und uns alle irritierte. Auch der Tanzunterricht war für alle eine Enttäuschung. In der Musikschule bekam unsere Tochter dann ein für den Haushalt unersetzliches Instrument, »Melodica« genannt, eine Mischung aus Trompete und Akkordeon. Mit diesem Instrument ließe sich das Wesen der Musik am einfachsten begreifen, klärte uns der Musiklehrer auf. Monatelang nahm meine Tochter das Ding nun nicht mehr aus dem Mund. Dem Wesen der Musik waren wir zwar nicht
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