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Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa
Autoren: Wladimir Kaminer
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Gestalten leben. Und damit meine ich nicht die Holzkäfer, die wir schon alle namentlich kennen. Am helllichten Tage diese Gestalten zu treffen, ist unmöglich, sie verstecken sich meisterhaft, und wenn sie Kontakt aufnehmen, dann nur mit Minderjährigen, nicht mit mir. Zum Glück geben die Kinder gerne ihre Geheimnisse weiter, man muss sie nur reden lassen. Auf diese Weise weiß ich, was bei uns zu Hause läuft.
    Neulich erzählte mir meine Tochter von Fischen, die bei uns wohnen. Davon wusste ich bisher rein gar nichts. Zum Beispiel vom Flaschenfisch. Der Flaschenfisch lebt in einer Flasche und sieht auch selbst aus wie eine. Deswegen kann der Flaschenfisch niemals aus der Flasche herausfallen. Am liebsten lebt der Flaschenfisch in den kleinen Cola-Flaschen, die ich manchmal kaufe. Er ernährt sich auch von dem Getränk. Der Flaschenfisch säuft Cola wie ein Loch. Er säuft und säuft und kann deswegen nicht aus der Flasche herausfallen. Aber der Flaschenfisch ist unsichtbar, deswegen kann ihn niemand sehen. Man denkt nur, was ist denn da los? Wo ist meine Cola? Ich habe gerade eine Flasche aufgemacht, und schon ist sie leer? Wie kann das sein? In Wirklichkeit aber ist die Flasche nicht leer, der Flaschenfisch ist da drin und hat alles ausgetrunken. Und wenn man eine neue Flasche aufmacht, schlüpft er sofort hinein. Der Flaschenfisch kann ohne Cola nicht leben.
    Es gibt noch andere Fische in unserer Wohnung. Den Herzfisch zum Beispiel. Er hat die Form eines Herzens, nur mit einem kleinem Schwänzchen hinten dran. Der Herzfisch ist sehr sympathisch und absolut harmlos. Er kann eigentlich überall leben, wohnt aber am liebsten im Klo. Wenn die Menschen auf die Toilette gehen, versteckt sich der Herzfisch; erst wenn sie rausgehen, taucht er wieder auf und schwimmt in der Toilette herum. Auf diese Weise schützt sich der Herzfisch vor den Menschen, wenngleich er weiß: Selbst wenn man ihn fängt, wird man ihn nicht essen, weil er nach Toilette riecht. Aber manchmal fühlt sich der Herzfisch total isoliert. Er hat in der Toilette keinen Freund, mit dem er reden könnte. Deswegen kann man manchmal nachts hören, wie er leise mit sich selbst spricht – das heißt wenn man das Licht nicht anmacht und ganz nahe an der Schüssel steht. Der Herzfisch spricht mit unterschiedlichen, verstellten Stimmen.
    »Ist es das, was du wolltest? Jetzt hast du den Salat!«, sagt die eine Stimme.
    Und die andere Stimme stöhnt: »O mein Herz, mein Herz!«
    Der dritte Fisch in unserer Wohnung ist ein Trockenfisch. Er liegt auf dem Schrank. Der Trockenfisch ist sehr alt. Ihn hat noch unser Großvater geangelt und ausgetrocknet zur Erinnerung an seine Angelleistung. Unser Großvater erzählte, dass der Trockenfisch früher noch gar nicht trocken, dafür aber riesengroß war. Man hatte nicht einmal so lange Arme, um zeigen zu können, wie riesengroß er war. Dann aber, als er zu trocknen anfing, wurde er immer kleiner und kleiner, bis er so klein wurde, wie er heute ist. Klein und so dünn wie ein Streichholz. Manche Besucher behaupten, dass der Trockenfisch niemals ein normaler Seefisch war. Er sei von dem Großvater gar nicht aus dem Wasser gezogen, sondern in einem Geschäft gekauft worden, um alle zu täuschen. Auf jeden Fall sieht er sehr böse aus. Er hat noch immer zwei Zähne im Maul, und mit diesen Zähnen knirscht er manchmal nachts. Er weiß, dass die Zeit unaufhaltsam fortschreitet und er immer kleiner wird, um eines Tages gänzlich zu verschwinden.
     

Internationalismus mit multikulturellem Hintergrund
    Je globaler die Welt, desto wertvoller erscheinen die kleinen Abweichungen, die uns voneinander unterscheiden. Jeder braucht heute eine eigene kulturelle Tradition, um sich gegen die totale Kultur zu behaupten. In einer Großstadt wie Berlin, in der die Mehrheit der Bevölkerung aus Zugezogenen besteht, hat beinahe jeder einen anderen Hintergrund – sei es ein Dorf im Allgäu, einen Weinberg in Franken oder eine gut gemistete Wiese in Brandenburg. Wenn man gar keinen multikulturellen Hintergrund hat, quasi eine Berliner Bulette in zwölfter Generation ist, so kann man sich noch immer irgendetwas ausdenken. Zwei Winter hintereinander in Solarien verbringen, Räucher-Stäbchen im Gästezimmer aufstellen und bei jeder Gelegenheit von seiner indischen Oma erzählen. Noch einfacher ist es, sich einen Russen in die Familie zu dichten und mit ruhigem Gewissen jeden Abend einen zu kippen – nichts zu machen, schlechtes Erbgut.
    Haste
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