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Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa
Autoren: Wladimir Kaminer
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»Seepferdchen«-Übung im flachen Wasser nicht klargekommen, dann war er eine Woche krank, und danach hatte er erst recht keine Lust mehr.
    Auch bei seinem ersten Religionsunterricht ging nicht alles glatt. So deutete er zum Beispiel die Geschichte von Jesu Geburt völlig falsch. In seiner Darstellung spielte der Esel die herausragende Rolle. Alles drehte sich um den Esel, der mit einer schwangeren Frau unterwegs war und nicht wusste, wohin damit. Er lief wie ein Wilder durch die Gegend und bekam dauernd verwirrende Ratschläge von fremden Menschen erteilt. In der Nacherzählung meines Sohnes war eigentlich der Esel Gott. Und so wie diesem biblischen Esel geht es heute auch dem modernen Mann: Er läuft ins Nirgendwo, während alle anderen auf seinem Rücken sitzen und ihn dazu noch unentwegt hänseln.
    Zu meiner Schulzeit gab es noch keinen Religionsunterricht. Damals saß der Schnurrbart noch am richtigen Fleck. Mindestens die Hälfte des Schulpersonals war männlich, und in unserer Klasse gab es immer genauso viele Jungen wie Mädchen. Ich weiß bis heute nicht, wie diese Gleichzahl im Sozialismus geregelt wurde. Ob die Staatsmacht zum Beispiel überflüssige Geschlechtsgenossen abtreiben ließ und beim unterzähligen Geschlecht extra nachhakte. Auf jeden Fall war immer ein geschlechtliches Gleichgewicht gewährleistet, zumindest in meiner Schule N 701.
    Neulich holte ich Sebastian vom Unterricht ab. Er saß auf dem Schulhof, ziemlich allein, hatte eine Beule am Kopf und die Hosentaschen voller Sand. Das sei kein Sand, sondern Lava, erklärte Sebastian. Er habe Vulkanausbruch gespielt.
    »Es gibt zwei Dutzend Schüler in deiner Klasse. Warum musst immer du der Vulkan sein?«, regte ich mich auf.
    Der Vulkan sei Marie-Luise gewesen, er habe lediglich den Ausbruch spielen wollen, verteidigte sich Sebastian. Doch sein Freund Peter habe ihn geschubst und sei früher ausgebrochen. Marie-Luise habe ihn daraufhin megastark verhauen, und jetzt seien sie ein Paar.
    Mein Sohn hat eine eigene Zeitrechnung. Alles, was war, ist Vergangenheit, sagt er, alles, was kommt, ist Zukunft. Und alles dazwischen ist Mittelalter. In diesem Mittelalter haben Männer Kommunikationsprobleme, wenn es um die Annäherung an das andere Geschlecht geht. Und je kleiner die Männer sind, desto größer die Probleme. Ein Mann braucht Randale, um jemanden kennen zu lernen. Beim Randalieren kann er seine Qualitäten am besten entfalten. Eine sichere Nummer wäre zum Beispiel, ein Mädchen zu verhauen, um sich dann als Schutz vor sich selbst anzubieten.
    In der Vergangenheit waren Mädchen leichte Beute für derartige Kommunikationsversuche. Man zog einfach an ihren langen Zöpfen, und schon war die Kommunikation hergestellt. Mädchen trugen lange Kleider, gingen nicht zum Karate- oder Judounterricht, und sie spielten nicht Fußball. Man schubste sie ein bisschen auf dem Hof, und schon war die Kommunikation da. In unserem heutigen Mittelalter aber sind lange Kleider und Zöpfe aus der Mode, weil die Eltern zu faul sind, Kleider zu bügeln und Zöpfe zu flechten. Die Mädchen des heutigen Mittelalters bieten keine Angriffsfläche mehr. Sie nehmen am Kampfsportunterricht teil, sie kicken Bälle in Fenster, sie können Fahrrad fahren und jonglieren. Sie sind außerdem noch aus einem rätselhaften Grund fast immer einen Kopf größer und zehn Kilo schwerer als die Jungs und können jeden verdreschen.
    Eine Frage an die Wissenschaft: Wäre es nicht möglich, eine Zopfflechtmaschine zu entwickeln? Ist unser Mittelalter nicht gerade das Zeitalter der großen Entdeckungen, die uns das Leben erleichtern? Es wurden flüssige Tapeten erfunden, elektrische Nasenbohrer von Tchibo und beheizte Klobrillen. Der Weg zum absoluten Menschenglück nimmt durch diese Errungenschaften eine gewaltige Abkürzung. Es gibt sogar schon Hundefutter, das Hundescheiße leuchten lässt, damit der Mensch im Dunkeln nicht hineintritt. Aber es gibt noch immer keine Zopfflechtmaschine, die, auf jedem Schulhof installiert, die Kommunikationschancen der heranwachsenden Generation wesentlich verbessern würde. Mein Kind sucht derzeit unermüdlich nach neuen Wegen zum Vulkan. Er überredete mich, ihm eine präparierte Vogelspinne unter Glas auf dem Flohmarkt zu kaufen. Der Preis für diesen ausgetrockneten Kinderalbtraum war hoch: zwei Wochen ohne Computer und ohne Fernseher. Er ist trotzdem darauf eingegangen, denn er verband große Hoffnungen mit dem Insekt. Er nahm es mit in die Schule
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