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Salambo

Salambo

Titel: Salambo
Autoren: Gustave Flaubert
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Dache des Palastes gesehen, wie sie zwischen den Wirbeln qualmender Räucherpfannen vor den Sternen auf den Knien lag. Der Mondschein hatte sie blass gemacht, und etwas Göttliches umwob sie wie leiser Duft. Ihre Augen schienen über das Irdische hinweg in weite Fernen zu schauen. Gesenkten Hauptes schritt sie dahin, in der Rechten eine kleine Lyra aus Ebenholz.
    â€žTot! Alle tot!“ hörte man sie murmeln. „Nie mehr werdet ihr, meinem Rufe gehorsam, zu mir eilen wie einst, wenn ich am Rande des Wassers saß und euch Melonenkerne zuwarf. Das Geheimnis der Tanit kreiste auf dem Grunde eurer Augen, die klarer waren als die Wasserblasen der Ströme.“ Und sie rief sie bei ihren Namen, den Namen der Monate: „Sivan, Thammus, Elul, Tischri, Schebar ... O Göttin, erbarme dich meiner!“
    Die Söldner umdrängten sie, ohne ihre Rede zu verstehen. Sie staunten über ihren Schmuck. Salambo aber ließ einen langen erschrockenen Blick über die Menge gleiten, zog dann den Kopf zwischen die Schultern und rief, indem sie die Arme erhob, mehrere Male:
    â€žWas habt ihr getan! Was habt ihr getan! Hattet ihr nicht Brot und Fleisch und Betel und alles Zimtöl aus den Speichern, um euch zu laben? Aus Hekatompylos hatte ich Ochsen kommen lassen. Jäger hatte ich in die Wüste geschickt ...“ Ihre Stimme schwoll an, ihre Wangen röteten sich. „Wo seid ihr denn hier? In einer eroberten Stadt oder im Palast eines Herrschers? Und welches Herrschers? Meines Vaters, des Sufeten 6 Hamilkar, des Dieners der Götter! Er war es, der sich weigerte, eure Waffen dem Lutatius auszuliefern, eure Waffen, an denen jetzt das rote Blut seiner Sklaven klebt! Kennt ihr einen in euren Heimatländern, der besser Schlachten zu lenken weiß wie er? Schaut empor! Die Treppenstufen unseres Schlosses strotzen von den Zeichen unserer Siege. Macht nur weiter! Verbrennt es! Ich werde den Genius meines Hauses mit mir nehmen, meine schwarze Schlange, die da oben auf Lotosblättern schlummert. Ich pfeife, und sie wird mir folgen. Und wenn ich in die Galeere steige, wird sie im Kielwasser meines Schiffs auf dem Schaume der Wogen hinter mir her eilen ...“
    Ihre feinen Nasenflügel bebten. Sie zerbrach ihre Fingernägel an den Juwelen auf ihrer Brust. Der Glanz ihrer Augen ermattete. Abermals begann sie: „O, armes Karthago! Beweinenswerte Stadt! Du hast zu deinem Schutze nicht mehr die Helden der Vorzeit, die über die Ozeane schifften, um an fernen Küsten Tempel zu erbauen! Alle Länder arbeiteten für dich, und die Meeresfläche, von deinen Rudern gepflügt, wiegte deine Beute!“
    Dann begann sie von den Abenteuern Melkarths zu singen, des Gottes der Sidonier und des Ahnherrn ihres Hauses.
    So erzählte sie von der Besteigung der ersiphonischen Berge, von der Fahrt nach Tartessus und dem Krieg gegen die Masisabal, um die Königin der Schlangen zu rächen.
    â€žEr verfolgte im Walde die Unholdin, deren Schweif sich über das dürre Laub schlängelte wie ein silberner Bach. Und er kam auf eine Wiese, wo Frauen auf den Flossen ihrer Drachenleiber um ein großes Feuer standen. Der Mond leuchtete in einem bleichen Lichtkreis, und ihre scharlachroten Zungen schnellten gierig bis an die Flammen ...“
    Ohne innezuhalten, berichtete Salambo, wie Melkarth die Masisabal bezwang und ihr abgeschlagenes Haupt am Bug seines Schiffes befestigte. „Bei jedem Schlage der Wellen tauchte es in den Schaum! Doch die Sonne balsamierte es ein, und es wurde härter als Gold. Die Augen aber hörten nicht auf zu weinen, und die Tränen rollten beständig in das Meer ...“
    Das alles sang Salambo in einer alten kanaanitischen Mundart, die keiner der Barbaren verstand. Sie fragten sich, was sie ihnen mit den furchtbaren Gebärden, die ihren Gesang begleiteten, wohl sagen wollte. Aber sie lauschten ihr, indem sie auf die Tische, die Liegebänke und in die Äste der Sykomoren stiegen, mit offenem Mund und vorgestrecktem Kopfe, und mühten sich, die geheimnisvolle Sage zu fassen. Das Dunkel, das über dem Ursprung der Götter liegt, wallte vor ihrer Phantasie, wie Gespenster in den Wolken.
    Nur die bartlosen Priester verstanden Salambo. Ihre welken Hände hingen zitternd in den Saiten der Leiern und entlockten ihnen von Zeit zu Zeit einen dumpfen Akkord. Schwächer als alte Weiber, bebten sie gleichzeitig in mystischen Schauern und in Furcht vor
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