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Salambo

Salambo

Titel: Salambo
Autoren: Gustave Flaubert
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Überraschung. Tausend Arme streckten sich empor, aber man sah ihn nicht mehr.
    Die Treppe zur Burg hatte sechzig Stufen. Matho stürzte sie hinab, wie in einem Gießbach vom Gipfel eines Berges hinuntergerissen. Dreimal sah man ihn hochschnellen. Endlich kam er unten wieder auf die Füße.
    Seine Schultern bluteten, seine Brust keuchte in heftigen Stößen, und er machte solche Anstrengungen, seine Fesseln zu zerreißen, dass seine auf dem bloßen Rücken gefesselten Arme anschwollen wie Schlangenleiber.
    Von der Stelle, wo er stand, gingen mehrere Straßen aus. Durch jede von ihnen spannten sich zwei dreifache Reihen eherne Ketten, die am Nabel von Kabirenbildsäulen befestigt waren, in gleicher Richtung von einem Ende bis zum anderen. Die Menge stand gegen die Häuser gedrängt. In der Mitte schritten Ratsdiener und schwangen Peitschen.
    Einer von ihnen trieb Matho mit einem kräftigen Schlag an. Da begann er von neuem seinen Leidensgang.
    Man streckte die Arme über die Ketten und schrie, der Weg sei ihm allzu breit gelassen worden. Er aber schritt, von tausend Fingern betastet, gestochen und zerhackt immer weiter. War er am Ende einer Straße, so tat sich ihm eine andere auf. Mehrmals sprang er zur Seite, um zu beißen. Man wich rasch zurück, und die Menge brach in Hohngelächter aus.
    Ein Kind zerriss ihm das Ohr. Ein junges Mädchen, das unter seinem Ärmel eine spitzige Spindel versteckt hatte, zerschlitzte ihm die Backe. Man riss ihm Hände voll Haare und Fetzen Fleisch aus. Andere beschmierten ihm das Gesicht mit Schwämmen, die in Unrat getaucht und auf Stöcke gesteckt waren. Aus seiner rechten Brustseite schoss ein Blutstrom hervor. Alsbald brach der Wahnsinn vollends aus. Dieser letzte der Barbaren war für das Volk der Vertreter aller anderen, des ganzen Heeres. An ihm rächte man alles Unglück, alle Ängste, alle Schande. Die Wut der Menge nahm mit der Sättigung ihres Blutdurstes zu. Die allzu straff gespannten Ketten weiteten sich und drohten zu brechen. Man fühlte die Schläge der Wachen nicht mehr, die auf die Massen einhieben, um sie zurück zu treiben. Manche hingen an den Erkern der Häuser. Alle Öffnungen in den Mauern waren mit Köpfen erfüllt, und das Böse, das man dem Libyer nicht antun konnte, brüllte man ihm wenigstens zu.
    Es waren wilde, unflätige Schmähungen, vermischt mit spöttischen Zurufen und Flüchen; und da man an seiner gegenwärtigen Marter nicht genug hatte, kündigte man ihm noch fürchterlichere Qualen für die Ewigkeit an.
    Das ungeheure Geheul erfüllte Karthago mit stumpfsinniger Beharrlichkeit. Oft fand eine einzige Silbe, ein heiserer, dumpfer, wilder Laut ein minutenlanges Echo im ganzen Volk. Die Mauern erbebten von diesem Geschrei vom Grund bis zum Giebel, und Matho war zumute, als ob die beiden Straßenwände auf ihn zukämen und ihn vom Boden aufhöben wie zwei ungeheure Arme, um ihn in der Luft zu erwürgen.
    Da fiel ihm ein, schon einmal etwas Ähnliches empfunden zu haben. Die gleiche Menge auf den Terrassen, die gleichen Blicke, die gleiche Raserei! Nur war er damals frei, damals wichen alle vor ihm zurück, damals beschirmte ihn ein Gott! Und diese Erinnerung, die immer deutlicher wurde, erfüllte ihn mit niederschmetternder Traurigkeit. Schatten schwebten ihm vor den Augen, die Stadt schwankte vor ihm. Das Blut rieselte ihm aus seinen Wunden. Er fühlte den Tod. Seine Knie schlotterten, und er sank langsam auf das Pflaster.
    Irgendwer holte aus der Vorhalle des Melkarth-Tempels die auf Kohlen glühend gemachte Querstange eines Dreifußes, schob sie unter der obersten Kette hindurch und stieß sie gegen Mathos Wunde. Man sah das Fleisch rauchen. Das Hohngeschrei der Menge erstickte den Aufschrei des Getroffenen. Schon aber stand er wieder auf den Beinen. Sechs Schritte weiter stürzte er abermals hin, dann noch ein drittes Mal, ein viertes Mal. Immer jagte ihn eine neue Marter wieder auf. Man bespritzte ihn durch Röhren mit siedendem Öl, streute Glasscherben unter seine Füße. Er schritt weiter. An der Ecke der Sathebstraße lehnte er sich unter dem Dach eines Ladens mit dem Rücken gegen die Mauer und ging nicht mehr weiter.
    Die Schergen des Rats schlugen ihn mit ihren Peitschen aus Flusspferdhaut so wütend und so lange, dass die Fransen ihrer Tuniken von Blut troffen. Matho schien kein Gefühl mehr zu haben.
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