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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen
Autoren: Franz Fühmann
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Entweder-Oder: Ich werde entweder unbeweglich am Tisch sitzen oder eben dies nicht tun, also umhergehn oder auf jemand zeigen oder reden und so. Unbeweglich sitzen oder irgendwas andres — einer dieser Alternativmöglichkeiten ließe sich doch mein gesamtmögliches Handeln oder auch Nicht-Handeln zuordnen?“
    „Du machst deinem Logikerdiplom Ehre“, sagte Janno trocken. „Bewegung oder Nicht-Bewegung, auf dieses Dilemma läuft es hinaus.“
    „Sehr gut. Und ihr draußen könnt dies gleich mir sehen?“
    „Dazu reicht die Bildschärfe völlig. Wir könnten deine Schau übrigens auch filmen.“
    „Um so besser, dann wär’s objektiv. Nun nehmen wir an, ich und ihr — und die Kamera auch —, wir sähen mich still am Versuchstisch sitzen. Darauf werde ich zur X-Zeit im Zimmer umhergehn.“
    „Das wirst du nicht!“
    „Und warum denn nicht?“
    „Weil du es sonst anders gesehen hättest! Bist du im Blauen Flirren gesessen, sitzt du, wenn der Zeitraum X dann da ist, genau an dem gesehenen Ort.“
    „Und wenn ich nun aber nicht sitzen bleibe?“
    „Dann hättest du dich auch nicht sitzen sehen.“
    „Aber ich sehe mich sitzen und erhebe mich dennoch!“
    „Das kannst du doch nicht, weil du’s nicht gesehn hast!“
    Der Besucher stöhnte; und auf Jannos: „Glaub mir, das kommt so!“ verlor er beinah die Kontenance. „Dein Denkvermögen läßt einen verzweifeln! Ich weiß, du bist Diplomkausalitätler, doch irgendwie mußt du gelitten haben. Euer Versuch muß eine Selbsttäuschung sein.“
    „Typ Nummer sechs“, sagte Janno gelassen.
    Sie schlenderten durch den Gelbtürengang.
    „Denk mit“, bat der Gast, „ich bitte, denk mit! Rekurrieren wir nochmals auf mein Beispiel. Wir sahen mich also am Tische sitzen, das wäre, sagen wir: Zukunftszeit sechsundfünfzig Sekunden, aber Gegenwartszeit Sekunde eins.“
    „Du formulierst es bewundernswert.“
    „So, und zwischen der Sekunde eins und der Sekunde sechsundfünfzig vergeht doch ganz reale Zeit?“
    „In der Tat — einundfünfzig Sekunden.“
    „Und über diese Zeit kann ich verfügen?“
    „Mit dem, was du freien Willen nennst.“
    „Und den werd ich gebrauchen, verlaß dich drauf! Da nämlich liegt der Hund begraben! Euer Brimborium lähmt die Entschlußkraft, euer Warnsystem den Widerstandswillen, und der Prüfling verfällt einer Selbsthypnose, die ihm sklavische Abhängigkeit von seiner Schau suggeriert. Aber mit mir nicht, mit mir nicht! Ich werde laut sagen, was ich gesehn hab, und dann werd ich davon das Gegenteil tun, in unserm Fall also im Zimmer umhergehn; doch gesetzt, ich hätte mich gehen sehen, so werde ich ruhig sitzen bleiben.“
    „Nein, du wirst tun, was du gesehn hast!“
    Der Besucher sah ihn mißtrauisch an. „Sag, wollt ihr mich wirklich hypnotisieren? Dazu habt ihr nicht meine Einwilligung.“
    „Typ Nummer drei“, sagte Janno beinah gelangweilt.
    „Ob ihr mich hypnotisiert oder nicht, und drauf strikte Antwort!“
    „Also bündig: nein; auch nichts Ähnliches! Dein Argument mit der Selbsthypnose ist übrigens neu, herzlichen Glückwunsch! Da ist noch keiner draufgekommen. In dieser Beziehung machst du doch eine Ausnahme.“
    „Die wirst du in jeder Hinsicht erleben, und ich biete dir jetzt eine Wette an: Gesetzt, ich bin nicht von euch hypnotisiert oder sonstwie in meiner Bewegung gehindert, so werde ich kraft eigenen Willens zur X-Zeit etwas wahrnehmbar Anderes tun, als wir alle es vorher mich tun gesehen haben. Was sagst du nun?“
    „Daß alle genauso geredet haben, mit genau derselben Zuversicht. Sie glauben immer, ihr Wollen macht es. Als ob sie noch nicht genug belehrt wären.“
    Sie bogen in den Orange-Flur ein, und Janno drehte ein Bild am Gangbogen um. Es zeigte des großen Aufklärers Christian Wolff optimistisches Lächeln, und auf seiner Rückseite stand, wieder im Vordruck:
    Spätestens hier bietet jeder die Wette an!
    „Fauler Zauber“, sagte der Besucher. „Hätte ich die Wette nicht angeboten, so hättest du das Bild nicht bemüht. Und überhaupt“, fuhr er fort, „was sollen diese Mätzchen! Nun fehlt nur noch eine Geistererscheinung, und wir sind bei Simon dem Magier. Ich finde ein solches Verhalten — na, sagen wir: nicht sehr wissenschaftswürdig. Ich könnte auch härtere Worte gebrauchen.“
    „Nimm’s als Galgenhumor“, sagte Janno bitter. „Man braucht so was, daß man die Ohnmacht erträgt. Es ist etwas schäbig, da hast du schon recht. Es ist halt alles heruntergekommen; und
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