Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen
Autoren: Franz Fühmann
Vom Netzwerk:
Funkeln in Jannos Augen.
    „Doch wenn“, sagte der Gast, sich nachdenklich gebend, wiewohl ihn der fertige Einwand schon stachelte, „doch wenn ich nun etwas ganz Anderes mache als das, was ich im Flirren gesehn hab?“
    Janno blickte schon wieder müde. „Siehst du, das eben ist die Hybris, aus der du dann in die Ohnmacht stürzt. Und danach die armseligen Bemäntelungen! Wenn du nämlich erfahren haben wirst, daß auch bei dir das Kommende so kommt, wie du es vorher kommen gesehen. Es ist immer die gleiche Reaktion. Erst gewaltiges Auftrumpfen: Bei mir nicht!, dann, nach dem Versuch, betretne Gesichter, und schließlich Anzweifeln der Realität. Keiner will sich damit abfinden, daß es und daß er sich so verhält wie in allen andern bisherigen Fällen. Es ist sogar eine Doppelohnmacht: vor der Unabänderlichkeit des Fatums und gegenüber der Ausnahmslosigkeit. Zuerst glaubt ein jeder, das
Wollen
macht’s: Ich sehe mein demnächst geschehendes Handeln, also muß ich’s doch ändern können, das hängt doch von meinem Willen ab! Und zusätzlich glaubt er an
seinen
Willen: Mögen alle andern sich foppen lassen —
er
wird es diesem Schicksal schon zeigen! Und dann seine Ohnmacht gezeigt bekommen, und zwar, wie gesagt, gleich mit doppelter Wucht: seine
Ohnmacht
, und
seine
Ohnmacht; den Sog, und die eigene Austauschbarkeit! Dabei benimmt sich von allem Anfang ein jeder jedem andern gleich: gleiche Fragen, gleiche Hoffnung, gleiche Argumente, gleiche Illusionen, und dann die gleichen Abwehrausreden, wenn auch ihm geschieht, was halt allen geschieht, natürlich die Fälle ausgenommen, bei denen die Zukunftsschleife so klein ist, daß man tatsächlich nur einen Augenblick weit, und das heißt: sich noch immer im Flirren sieht. Doch selbst da ist die Ohnmacht schon angelegt; du ahnst ihr fürchterliches Rauschen, und hast du auch nur fünf Sekunden gesehen, zerschmettert dich ihr Flügelschlag. Und dann die Jämmerlichkeit des Selbstbetrugs! Da soll der Krümmungsradius nicht stimmen; da sei die Zukunft Vergangnes gewesen; da habe man faule Tricks angewandt, und was der Ausflüchte mehr noch sind. Doch sie sind alle nur Symptome. Uneingestanden herrscht dies Würgen, da man die eigne Ohnmacht erkennt.“
    Der Besucher blickte kampflustig auf.
    „Siehst du“, sagte Janno, „so gucken sie alle. Da hast du die Zukunft! Ich wußte genau, was kommen wird.“
    Er öffnete eine Schreibtischschublade.
    „Unkontrolliert“, sagte der Besucher, „unkontrolliert kann das jeder behaupten! Und was“, fuhr er gelassen fort, „und was nun den Versuch betrifft, so vergißt du, daß ich Diplomlogiker bin. Und mein Syllogismus ist unabweislich. Was ich tun werde, ist mein freier Entschluß; meinen freien Entschluß kann ich verändern, also gehört zu dem, was ich verändern kann, auch all das, was ich künftig tue, das ist ein Syllogismus der Form Bamalip, und der gilt seit des großen Galenus Zeiten. Wer könnte ihm wehren, und wer könnte mich hindern, mein kommendes Tun noch abzuändern? Einzig darauf antworte mir!“
    Janno hatte, da sein Gast noch sprach, eine Tafel aus der Schublade gezogen, und der Besucher las diesen Vordruck:
    Deine Frage wird auf Folgendes hinauslaufen: Wer könnte mich hindern, das Gegenteil des Geschauten zu tun, denn in meinen Entschlüssen bin ich doch frei?
    „Na schön“, räumte der Besucher ein, „die Frage hast du vorausgesehn, aber die
muß
ja schließlich gestellt werden. Mich würde die Antwort interessieren.“
    „Die wird dir der Versuch schon geben, und dann kommt das Problem, wie man sie erklärt. Ich habe da meine Theorie, die vom AK-Sog, doch das machen wir später. Dann wirst du deine Prämissen als falsch erkennen; die Logikfigur mag schon richtig sein. — Und nun komm, bevor Pavlo völlig verwalt ist.“
    „Verwalt?“
    „Nun ja, ich meine im Tran. Es ist schlimm, wie sehr er sich absacken läßt!“
    „Rekapitulieren wir“, sagte der Gast, da sie den relaisdurchsummten flachen Tunnel des Blautürengangs hinuntergingen. „Ich tunke also die Augen ins Flirren und sehe ein Stückchen naher Zukunft, sagen wir: eine Minute entfernt. Ich kann also früher sehn, was ich später tue. War’s soweit richtig?“
    „Richtig“, bestätigte Janno, in den Grün-Gang biegend, „richtig, aber du siehst nur die letzten Sekunden.“
    „Doch die letzten Sekunden von dem, was erst kommt und was mein eigenes Handeln sein wird — stimmt’s so? Ausgezeichnet. Ich stehe nun vor diesem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher