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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen
Autoren: Franz Fühmann
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Individualtrotz gegen etwas vollkommen Vernünftiges, und jeder, aber jeder, stimmt ebenso; dort macht er etwas ausgefallen Dummes, und jeder macht es ihm nach, und schon wird’s Institutsgesetz, und zwar eben eines, das einzuführen die Leitung sich lange Zeit nicht getraut hat, wiewohl sie es einzuführen gedachte und von oben die Auflage dazu hatte. Schließlich sieht er nur noch einen Weg, seinen Eigenwillen zu erweisen, und bringt sich aus freien Stücken um — und am gleichen Tag ist es Epidemie. Der hat seine Ohnmacht ganz ausgekostet. Es muß ein unheimlicher Sog gewesen sein!“
    „Pah, Selbsthypnose, sonst gar nichts“, höhnte der Gast; und: er erhöhe die Wette auf zehn zu eins.
    Sie hielten endlich vor Pavlos Labor.
    „Wir sind keine Dummköpfe“, sagte Janno finster, „auch wenn wir nur ein Orange-Institut sind! Wir haben Psychologen hinzugezogen; wir haben den Prüfling am Stuhl festgebunden, da wir gesehen haben, er wird aufstehn, und da war der allergisch gegen unsre Plastschnur, und ein Juckanfall hat ihn hochgejagt. Dann wollten wir Stahlfesseln nehmen, da sah der Mann immer bloß eine Zehntelsekunde, und schließlich weigerte er sich kategorisch weiterzuexperimentieren und sagte, man bekomme Alpträume davon. So könnte ich dir Hunderte von Fällen erzählen. Wir haben das ganze Labor gefilmt, die X-Zeit auf Mikrosekunden bestimmt, und stets dasselbe, und stets dasselbe: Die Zukunft geschieht so, wie sie geschieht. Was im Blauen Flirren gesehn wird, tritt ein, und es gibt kein Entrinnen und kein Verändern. Zuerst sagst du: verrückt, und dann macht’s dich verrückt; zuerst hast du gelacht, und dann lacht es in dir, aber es ist das Gelächter der Hölle, die mit dir spielt. Und du kannst nichts machen; nichts kannst du machen — glaub mir, es ist unvorstellbar!“
    Er habe schon Vorstellungskraft, sagte der Gast.
    „Aber nicht dafür, glaub unsrer Erfahrung! Schon beim ersten Versuch haben wir’s gespürt: Zermürbung und Erniedrigung. Erspar es dir, ich bitte dich! Ich bin dein Freund, ich rate dir nochmals —“
    „Und“, sagte der Gast, den Griff von Pavlos Tür in der Hand, „hast du eine Erklärung? Du bist doch Diplomkausalitätler. Keine Ursache ohne Wirkung, so lehrt ihr doch, im Einklang mit allen Klassikern. Wie also erklärst du’s?“
    „Der AK-Sog“, sagte Janno leise.
    „Was ist das: AK?“
    „Die Anti-Kausalität“; doch: „Zum Teufel!“ scholl es hinter der Tür, „kommt endlich rein, wenn ihr reinkommen wollt, dieser Vorhoftratsch ist ja nicht auszuhalten!“
    Der Besucher trat ein und blieb entgeistert im Türrahmen stehn; Janno drängte ihn vorwärts. Das Labor war eine waschküchenähnliche geräumige Zelle; Zementwände; Zementboden; Zementdecke; ein schmales Zementfenster; kalter Brodem von Fusel und Rauch. Kein Bild, keine Blume, nicht einmal eine Tafel mit blauen und roten statistischen Kurven, und keine Färbung außer im Grau. Selbst der Schreibtisch und Pavlo dahinter waren Grauton: braungrau jener und aschgrau dieser, und zwischen Schreibtisch und Fenster stand — einziger Apparat — ein weißgraues Gestell mit einer Schüssel aus grauweißem Plastglas, und davor hockte, der Drehstuhl, ein schwarzgrauer Klotz.
    Pavlo schnaubte walroßartig, und sein gedunsener haarstoppelschüttriger Schädel tauchte aus der Tiefe des Sessels. Er stellte etwas in den Schreibtischkasten und drückte die Tür mit dem Unterarm zu. Sein Blick war glasig.
    Der Gast stand immer noch an der Schwelle.
    „Das ist Pavlo“, sagte Janno.
    Pavlo schnaufte; der Besucher tat einen Schritt auf ihn zu, und Janno schrie auf.
    „Ich werde verrückt!“ schrie er, „der Computer!“
    „Sie, Herr, bleiben S’ stehn!“ rief gleichzeitig Pavlo.
    Der Besucher blieb stehn.
    „O Materie“, sagte Janno, „das war noch nie da!“
    Der Gast, nach dem Computer suchend, folgte den Blicken der beiden Gelehrten und betrachtete das Gestell genau. Es war ein hüfthohes Waschschüsselgestell: vier kegelstumpfig zusammenstrebende Blechleisten mit geknickten Füßen; obenauf, im kreisrunden Blechrand, die Plastglasschüssel, und halbhoch, da, wo sonst, in der Mitte eines größeren Blechrings, eine Platte für Soda und Sand angebracht ist, ein manikürbesteckgroßes graugrünes Kästchen, das durch zwei silbergraue Drähte mit einem Fünf-Knöpfe-Schaltbrett des Schreibtischs verbunden war. Zwei weitere Drähte führten von diesem Brett in die Schüssel; zwischen Schüssel und Kästchen
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