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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist
Autoren: Uwem Akpan
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Flügeln flattern, um abzuheben. Danach ist es still. Offenbar sind die Leute gegangen, denn Maman ist jetzt wieder allein im Wohnzimmer.
    Ein Haus weiter wimmert jemand. Jean beginnt zu weinen. Ich streichle ihm über den Rücken, singe ihm leise etwas vor. Er leckt sich die Lippen, weil er was zu essen haben will. Papa geht mit uns ins Wohnzimmer und gibt Jean den restlichen Haferbrei. Hungrig schlingt er die kalte Pampe in sich hinein. »Ich habe dir heute Morgen doch gesagt, junger Mann, dass du alles essen sollst«, sagt Papa. »Ihr Kinder seid uns wirklich eine Last!« Er gibt mir ein paar Scheiben Brot und Milch aus dem Kühlschrank. Ich tunke das Brot ein und schlucke, ohne zu kauen.
    In der Ferne grölt der Mob; es klingt, als käme die Meute näher. Papa tritt ans Fenster. Eine weitere Stimme beginnt zu wimmern, eine dritte, eine vierte, eine fünfte, dann die eines Kindes – sie klingt wie die meiner Freundin Hélène. Noch ehe ich ein Wort vorbringen kann, sagt Papa: »Vergiss die kleine Twa, Shenge.«
    Hélène und ich sitzen in der Schule nebeneinander. Sie ist die Klügste in unserer Klasse, und in den Pausen spielen wir auf dem Schulhof zusammen Seilspringen. Sie ist klein, hat viele Haare und eine flache Stirn wie ein Äffchen. Die meisten Twa sehen so aus. Es gibt nur noch wenige in unserem Land. Meine Eltern sagen, sie seien friedlich und sie würden nie erwähnt, wenn die Welt über Ruanda redet.
    Hélène ist eine Waise, weil der Zauberer ihre Eltern letztes Jahr verflucht hat. Mademoiselle Angeline sagt, er hat sein Amulett auf ihr Dach geworfen und ihnen damit Aids angehext. Jetzt kommt Papa für Hélènes Schulkosten auf. Wir gehen auch in denselben Katechismusunterricht, und Papa hat versprochen, für uns beide zur Erstkommunion eine Party zu geben. Letztes Jahr hat Hélène den ersten Preis unserer Klasse im Gemeinschaftsdienstwettbewerb gewonnen – organisiert von Le Père Mertens. Ich wurde Zweite. Wir holten die meisten Eimer Wasser für alte Leute in der Nachbarschaft. Le Père Mertens sagte, wer Hutu sei, müsse Wasser für die Tutsi oder Twa holen. Wer Tutsi sei, solle für die Hutus oder Twa holen. Wer Twa sei, hole für die anderen beiden Stämme. Da ich Tutsi wie Hutu bin, habe ich mit meinem kleinen Eimer Wasser für alle geholt.
    »Wir können sie nicht zu uns ins Haus nehmen«, sagt Papa und zuckt die Achseln. »Was geht diese Krise auch die Twa an?«
    Plötzlich schiebt Maman erneut den Tisch weg, schließt auf, öffnet die Tür aber nicht, lehnt sich nur dagegen. Noch mehr erstickte Schreie zerreißen wie Peitschenhiebe den Tag. In der Ferne sind Schüsse zu hören. Papa geht zu Maman, seine Hände zittern. Er schließt die Tür wieder ab und führt sie zurück zu ihrem Stuhl. Er schiebt den Tisch wieder vor die Tür.
    Plötzlich springt Maman auf und fischt aus ihrem Kleid die größte Geldrolle, die ich je gesehen habe. Die Scheine sind feucht und zerdrückt, als hätte sie das Geld die ganze Nacht umklammert. »Das sollte für eine Weile reichen«, sagt sie und hält Papa die Rolle hin. »Ich hoffe, die Banken machen bald wieder auf.« Er rührt das Geld nicht an. »Dann für unsere Kinder«, sagt sie und legt die Scheine auf den Tisch.
    Ich sage zu Papa: »Wir müssen Tonton André das Geld geben, um unsere Schuld zurückzuzahlen.«
    » Ego imana y'Urwanda !«, fällt Maman mir fluchend ins Wort. »Halt den Mund, Tochter. Willst du sterben?«
    Ihre Lippen zittern, als hätte sie Malaria. Papa zieht seinen Ausweis aus der hinteren Hosentasche und mustert ihn angewidert. Er holt auch Mamans Ausweis heraus, legt beide übereinander und zerreißt sie erst in größere, dann in immer kleinere Stücke, wie Konfetti. Er wirft die Fetzen auf den Tisch und kehrt zu seinem Wachposten zurück ans Fenster. Dann kommt er wieder und sammelt die Fitzel auf, kann den Schaden aber nicht mehr rückgängig machen. Er steckt die Überbleibsel in seine Tasche.
     
    Es wird Abend. Mit hölzernen Schritten geht Maman durchs Zimmer und kniet am Altar nieder. Papa spricht mit ihr, aber sie gibt keine Antwort. Er fasst sie an, und sie beginnt zu schluchzen.
    »Versprich mir«, sagt Maman, »beim Kruzifix deiner Shenge, dass du die Menschen nicht verrätst, die bei uns Zuflucht gesucht haben.«
    Er nickt. »Ich verspreche es … ndakwijeje .«
    Langsam zieht sich Maman den Goldring vom Finger und hält ihn Papa hin.
    »Verkauf ihn und sorge für dich und die Kinder.«
    Papa weicht zurück, die
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