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Sag, dass du eine von ihnen bist

Sag, dass du eine von ihnen bist

Titel: Sag, dass du eine von ihnen bist
Autoren: Uwem Akpan
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Jean an ihr Herz.
    »Maman, Jean fühlt sich einsam im Schlafzimmer«, sage ich.
    »Ich hoffe, er schläft den ganzen Tag«, sagt sie, ohne mich anzuschauen.
    »Ob die Geister ihn stehlen?«
    »Er wird sich an sie gewöhnen. Besorg dir etwas zu essen, Monique.«
    » Oya , Maman, ich will aber nichts essen.«
    »Dann geh und dusch dich.«
    »Allein? Ich will nicht duschen.«
    Sie fasst mein Nachthemd an. »Du gehörst unter die Dusche.«
    »Maman, wenn Zauberer pinkeln …«
    »Jetzt nicht.« Sie sieht zu Papa hinüber. »Sie muss duschen.«
    Als ich das höre, hebe ich mein Nachthemd an, um Maman den geschwollenen Schenkel zu zeigen, aber sie schlägt mir das Hemd wieder runter und sagt: »Du bekommst eine neue Unterhose. Und dein Gesicht wird auch wieder schön.«
    Ich richte meine Aufmerksamkeit erneut auf die Fotografien. Dann kratze ich mit dem Fingernagel über Tonton Andrés Gesicht, um ihn aus unserer Familie auszulöschen. Nur das Glas rettet ihn.
    Maman schaut nicht mehr auf die Bilder; ihre Augen sind wie im Gebet geschlossen. Ich nehme den Brieföffner aus Messing und zerkratze damit das Glas über dem Gesicht meines Tontons . Das Geräusch stört Papa, und er wirft mir vom Fenster einen bösen Blick zu. Ich höre auf.
    »Warum bist du gekommen – zurück gekommen?«, fragt er
Maman und sucht mein Gesicht ab, als wollte er sehen, ob ich die Frage verstanden habe.
    Habe ich nicht.
    Er wendet sich an Maman. »Warum, Frau? Geh wieder dahin, wo du letzte Nacht warst, bitte. Geh!«
    »Was du auch tust«, sagt sie, »lass es meine Tochter nicht wissen.«
    »Sie sollte es aber wissen!«, sagt er und erschrickt dann selbst vor seinem heftigen Ton.
    Meine Eltern verheimlichen etwas vor mir. Maman ist da sehr unbeugsam. Ihre Sätze treffen so zufällig auf meine Ohren, wie der Würfel auf das Ludo-Brett fällt. Und Papa sieht aus, als hätte er ein schlechtes Gewissen, wie ein Kind, das kein Geheimnis behalten kann.
    »Ich ertrag es nicht«, sagt er. »Ich ertrag's einfach nicht.«
    »Wenn Monique wüsste, wo ich letzte Nacht war«, argumentiert Maman, »würde deine Familie sie zwingen, es zu verraten, und Blut vergießen.«
    Während sie reden, atmen überall unsichtbare Leute – mindestens zwanzig Geister sind rund um uns in der Luft versammelt. Wenn Maman redet, stöhnen sie zustimmend, doch scheinen meine Eltern sie nicht hören zu können.
    Papa schüttelt den Kopf. »Ich meine, du hättest nie zurückkommen sollen. Ich hätte sie bestimmt überzeugt …«
    »Wir mussten zu den Kindern.«
    Ich verstehe nicht, wieso Maman sagt, dass sie zu mir wollte, wenn sie nicht mal zu mir hinübersieht. Neben mir an der weißen Wand tropft schmutziges Wasser herab. Es kommt von der Decke. Erst kommt es in zwei dünnen Rinnsalen, die sich ausweiten und dann eins werden. Gleich darauf sehe ich zwei weitere Rinnsale, stockend, als würden sich kleine Spinnen in unserem Hof an dünnen Fäden vom Mangobaum herablassen. Ich berühre die Flüssigkeit mit der Fingerspitze. Blut.
    »Geister! Geister!«, schreie ich und stürme zu Papa.
    »Das ist kein Blut«, sagt er.
    »Du lügst! Das ist Blut! Das ist Blut!«
    Papa versucht, sich zwischen mich und die Wand zu drängen, aber ich stelle mich vor ihn und umarme ihn. Ich umklammere ihn, klettere an ihm hoch, bis ich ihm die Hände um den Hals legen und die Beine um die Hüfte schlingen kann. Er versucht, meine Schreie zu ersticken, doch ich drehe und winde mich, bis er unter meinem Gewicht einknickt und fast vornüber fällt, dann stößt er die angehaltene Luft aus, und sein steifer Leib lockert sich. Er legt die Arme um mich und trägt mich aufs Sofa. Er presst mein Gesicht an sein Herz, birgt meinen Blick vor dem Blut. Ich höre auf zu schreien. Maman knirscht mit den Zähnen und schaut verbissen – vielleicht hat der Zauberer auch sie verflucht.
    Ich zittere immer noch am ganzen Leib, wie fest mich Papa auch hält. Ich erzähle ihm von letzter Nacht, und er tröstet mich, sagt, ich solle nicht weinen. Dabei treten ihm selbst Tränen in die Augen und fallen auf mich, warm und zahlreich. Ich habe ihn noch nie weinen sehen. Jetzt kann er nicht mehr aufhören, genau wie ich. Er sagt, dass er mich immer lieben wird, drückt meinen Kopf an seine Schulter und streichelt meine Zöpfe. Nun bin ich wieder Papas Shenge.
    »Es sind gute Geister«, schluchzt er und küsst mich auf die Stirn. »Gute Menschen sind gestorben.«
    »Papa, ich habe den Zauberer reingelegt.«
    »Denk nicht an
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