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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul
Autoren: Jean Paul
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wirst du ihnen auch gleich werden. Denn bald wird der Wurm die blühende Wange zernagen - bald wird Moder und Verwesung deinen Anblik scheuslich machen — bald, bald wirst du hier liegen, schlummern.«
    Ich sezte mich auf einen neuen Grabeshügel. Ich sah’ die durchlöcherten Menschenknochen - die Schädel, in denen ein menschlicher Geist eh’mals wonte. Es war mir, als wenn der Verstorbnen Geister sanft mir die Wange belispelten, in mir iede Tiefe der Empfindung erschütterten. Die Bäume rauschten heilig, dumpf im Gottesakker - der silberne Mond gieng am blauen Himmel unter dem Sternenher weg — Alles dieses zusammen stürmte so in meine Sele, daß ich nieder fiel, laut betete: O guter Got! mein Schöpfer! Hier bin ich unter denen, denen ich bald gleich sein, bald an ihrer Seite mitmodern werde. Vater! ich sündige! achvergieb dem Schwachen! Hier auf diesem Grab’ bet’ ich zu dir! Las mich; las mich, wenn dieser Geist der Erd’ entflohen, und dieser Körper mit ihr vermischt wird - dich schauen, ach las mich gliiklich sein! Und, o Jesus! der du auch des Todes stillen Schlummer schlummertest, wisch’ die Tränen dem Leidenden ab! Ach guter Got! wenn ich doch bei dir schon wäre, um zu trinken des Himmels Wonn’ aus dem Becher deiner Liebe-um zu leben mit Guten, um nicht mer Tränen des Elends zu weinen, nicht mer gedrängt zu sein! —
    Erschöpft stand ich auf - floh’ und schrieb eilig dieses Blat an dich. Es tobt in mir! Ich werde wenig schlafen können. Die Unordnung, die in diesem Brief’ herscht, wird dir die ganze Gestalt meiner Sele deutlich genug enthüllen.
     
     
    am 6 August.
    Verwirrung! Ein Gedanke durchkreuzt den ändern. Ich kenne mich kaum. Ich wil dir die Ursach’ erzälen; aber unordentlich genug. Gestern abends spazziert’ ich nach einem kleinen Wäldchen. Ich war eben auf dem Rükwege wieder, und in Gedanken vertieft, als — du wirst iezt ‘was ausserordentliches erwarten, und dich betrügen - als mir ein mittelmässig gekleideter Man begegnete - das ist aber das wenigste - der ein weibliches Geschöpf am Arme fürte, das - Aber hier, Freund, feien Worte. Die erste, die mir ganz Weib scheint - nein, nicht Weib, ganz Engel. Jedes Frauenzimmer gefiel mir nur bisher; aber diese rürte mich. Ach ich liebe sie - sie, die ich nicht kenne. Ich kenne nur ihre Bildung, die mir Unschuld und Tugend verspricht - ich sah nur ihr Auge, in dem gequälte Unschuld nach Mitleid herausschmachtete; - aber ihren Namen, ihren Stand, ihre Auffürung weis ich nicht. O Herz! was bist du iezt! Ich bin nicht mer Abelard. Ich bin’s mer oder weniger - ich weis es nicht. Jezt schmacht’ich blos, sene michblos, weine blos. Tausendmal des Tages schwebt mir ihr Bild in einer solchen Glorie, solchen Reinheit, solchen Liebenswürdigkeit vor, daß ich alles vergesse, was schön ist. Fast iedes andre Frauenzimmer hass’ ich iezt - weil ich nur eine einzige liebe. Aber ich bin verdrüslich dir Dinge zu beschreiben, wozu ich keine Worte finde.
    Ich wandte mich um, sah’ nach ihr und erblikte, wie sie sich umsah. Und nach mir? - Tödten hätt’ ich den Man wollen, der sie begleitete, daß er mir ein Vergnügen raubte, welches alle meine Sinn’ erfülte, meine ganze Sele begeisterte. Freund! hilf mir! Dies Weib raubt mir alle Besonnenheit - fesselt alle meine Tätigkeit, entnervt meinen Geist! Ich mag kaum’s Maul auftun: ich mag nichts reden, als von ihr, und da möcht’ ich nie aufhören. - Mein Freund Karl scheint die Veränderung an mir bemerkt zu haben. Er fragte nach der Ursache, die ich ihm verbarg. Ein Liebender ist kalt gegen den Freund, dem er sich nicht entdekken darf - und der wärmste gegen den, dem er all’ Heimlichkeiten seines Herzens vertrauen kan - dies hab’ ich iezt an mir gelernt. Der Liebe Macht kan ein Einziger Mensch nicht ertragen; andre müssen sie mit tragen, ändern mus er sie entdekken. Darum hat ein solcher einen Freund so nötig. Leb’ wol! In mir wüten Stürme.
     
     
    am 12 August.
    Ach! umsonst hoft man, daß die Zeit die Flamme verlöschen sol, die iede Nerve durchglüht - sie facht sie vielmer an, die Liebe wächst. Die Einsamkeit vermert sie - und desto mer, ie weniger man den Gegenstand seiner Liebe nicht vor Augen hat. Unsre Einbildungskraft verschönert uns die Liebenswürdigkeit der geliebten Person in’s unendliche; da uns die Sinne sie nur in ihren natürlichen Reizen darstellen. Die Einbildung läst iede Unvolkommenheit des Bildes weg; die Sinne verbergen sie
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