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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum
Autoren: Simon Toyne
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Lourdes und Santiago de Compostela zu einem der beliebtesten Wallfahrtsorte der katholischen Kirche geworden war. Von Menschenhand aus einem steilen, fast senkrechten Berg gehauen stellte die Zitadelle von Trahpah das älteste, noch bewohnte Gebäude der Menschheit dar, und sie war eines der Ursprungszentren der katholischen Kirche. Hinter ihren geheimnisvollen Mauern war die erste Bibel geschrieben worden, und der Glaube war noch weithin verbreitet, dass nach wie vor einige der größten Geheimnisse der Urkirche dort verwahrt wurden. Dabei entsprang ein Großteil des Mysteriums der Tatsache, dass in der Zitadelle das Gesetz des Schweigens herrschte. Niemand außer den Mönchen und Priestern, die dort lebten, durfte den heiligen Berg betreten, und waren sie erst einmal drin, durften sie ihn auch nicht mehr verlassen. Die Instandhaltung der in den Berg gebauten Feste mit ihren Wehrgängen und schmalen Fenstern oblag ausschließlich ihren Bewohnern, und so hatte die Zitadelle im Laufe der Zeit ein halb verfallenes Aussehen angenommen, das der Stadt ihren Namen gegeben hatte, denn Trahpah, ein Wort aus dem Aramäischen, bedeutete ›Verfall‹. Aber trotz ihres Aussehens war die Zitadelle keine Ruine. Tatsächlich war sie in all den Jahrtausenden ihrer Existenz nie erobert worden. Sie hatte ihre uralten Schätze und Geheimnisse bewahrt.
    Dann, vor ungefähr einer Woche, war ein Mönch auf den Gipfel des Berges geklettert. Fernsehkameras hatten jede seiner Bewegungen verfolgt, und oben angekommen hatte er mit seinen Gliedmaßen ein Tau geformt – das Symbol des Sakraments, des größten Geheimnisses der Zitadelle – und sich in die Tiefe gestürzt.
    Als Reaktion auf den gewaltsamen Tod des Mönchs war es zu einer weltweiten Welle antikirchlicher Proteste gekommen, die ihren Höhepunkt in einem direkten Angriff auf die Zitadelle gefunden hatten. Der Knall einer Explosion war durch die türkische Nacht gehallt, und ein Tunnel ins Fundament der Festung war zum Vorschein gekommen. Und zum ersten Mal in der Geschichte waren Menschen aus dem Berg herausgekommen: zehn Mönche und drei Zivilisten, allesamt unterschiedlich schwer verletzt. Seitdem beherrschte das Geschehen die Schlagzeilen.
    Clementi nahm sich die Morgenausgabe von La Republica , einer der beliebtesten Zeitungen Italiens, und las die Schlagzeilen:
    D IE Ü BERLEBENDEN DER Z ITADELLE
HABEN SIE DAS G EHEIMNIS DES S AKRAMENTS ENTDECKT ?
    Alle Zeitungen stellten die gleiche Frage. Sie nutzten die Explosion als Vorwand, um die alten Legenden über die Zitadelle und ihr berüchtigtstes Geheimnis wieder auszugraben. Und tatsächlich hatte sich das Machtzentrum der Kirche im 4. Jahrhundert nur deshalb nach Rom verlagert, weil sie sich von ihrer geheimen Vergangenheit hatte distanzieren wollen. Seitdem hatte Trahpah sich nur noch um sich selbst gekümmert und sein Geheimnis bewahrt … bis jetzt.
    Clementi griff nach einer weiteren Zeitung, einem britischen Boulevardblatt, auf dessen Titelblatt ein leuchtender Kelch über der Zitadelle zu sehen war, und die Schlagzeile dazu lautete:
    K IRCHE AUF DEM W EG NACH UNTEN
WIRD DER ›H EILIGE G RAL ‹ DER G EHEIMNISSE ENTHÜLLT ?
    Andere Zeitungen beschäftigten sich mehr mit der gruseligen und morbiden Seite der Geschichte. Von den dreizehn Leuten, die aus dem Berg gekommen waren, hatten nur fünf überlebt; der Rest war seinen Verletzungen erlegen. Es gab jede Menge Bilder, stark überbelichtete Fotos, die über die Köpfe der Sanitäter hinweg geschossen worden waren, die die Mönche in die wartenden Krankenwagen verfrachtet hatten. Die Blitzlichter betonten das Grün der Soutanen und das Rot des Blutes, das aus den rituellen Wunden auf ihren Körpern strömte.
    Die ganze Sache war eine einzige große PR-Katastrophe. Die Kirche stand da wie ein verkommener, heimlichtuerischer, mittelalterlicher Kult. Das war an sich schon schlimm, doch im Augenblick hatte Clementi auch so bereits genug um die Ohren; da sollte der Berg seine Geheimnisse besser hüten denn je.
    Clementi setzte sich an seinen Schreibtisch. Deutlich spürte er die Last der Verantwortung, die er alleine trug. Als Kardinalstaatssekretär war er der Premierminister des Vatikanstaates und verfügte über weitreichende exekutive Macht in der Kirche, auch international. Normalerweise hätte sich der Rat der Zitadelle um die Situation in Trahpah gekümmert. Wie der Vatikan so war auch die Zitadelle ein autonomer Staat innerhalb eines anderen, ein Staat mit Macht und
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