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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum
Autoren: Simon Toyne
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glänzenden Kreuzschlüssel.
    Der fette Mann schwieg. Er schüttelte nur den Kopf, und in Erwartung neuerlichen Schmerzes beschleunigte sich seine Atmung. Blut und Schnodder blubberten aus seiner Nase und blieben im Schnurrbart kleben. Er kniff sein gesundes Auge zu. Der Kreuzschlüssel wurde noch ein Stück höher gehoben.
    Dann betrat der Wüstenkrieger den Raum.
    In Erwartung eines weiteren Schlages blieb das Gesicht des fetten Mannes verkrampft. Als der Schlag jedoch ausblieb, öffnete er das Auge wieder und sah die zweite Gestalt über sich stehen.
    »Sind das deine Töchter?« Der Neuankömmling hielt das Foto in die Höhe. »Hübsch. Vielleicht können sie uns ja sagen, wo ihr Babba seine Sachen versteckt.«
    Die Stimme klang wie Sandpapier auf Stein.
    Der fette Mann erkannte sie sofort, und blanke Angst erschien in seinem Auge, als der Wüstenkrieger langsam seine Kufiya abwickelte, die Schutzbrille abnahm und in den einzelnen Sonnenstrahl trat. Seine Augen wirkten fast grau. Der fette Mann bemerkte ihre ungewöhnliche Farbe, und unwillkürlich wanderte sein Blick zu der gezackten Narbe am Hals des Mannes.
    »Weißt du, wer ich bin?«, fragte der Wüstenkrieger.
    Der Fette nickte.
    »Sag es.«
    »Du bist Ash’abah. Du bist … der Geist.«
    »Dann weißt du auch, warum ich hier bin, ja?«
    Wieder ein Nicken.
    »Dann sag mir, wo es ist. Oder würdest du es vorziehen, wenn ich dir diesen Motor auf den Kopf fallen lassen und deine Töchter für ein neues Familienfoto herschleppen würde?«
    Bei der Erwähnung seiner Familie keimte Trotz in dem Dicken auf. »Wenn du mich tötest, dann wirst du gar nichts finden«, sagte er. »Nicht das, was du suchst, und auch nicht meine Töchter. Ich würde lieber sterben, als sie in Gefahr zu bringen.«
    Der Geist legte das Foto auf die Werkbank und holte das Navigationsgerät aus der Tasche, das er von der Windschutzscheibe des SUV abgenommen hatte. Er drückte einen Knopf und hielt es so, dass der fette Mann es sehen konnte. Der dritte von oben war mit dem arabischen Wort für ›Zuhause‹ markiert. Der Geist tippte leicht mit dem Fingernagel darauf, und auf dem Bildschirm erschien die Karte eines Wohnbezirks auf der anderen Seite der Stadt.
    Der Widerstand des fetten Mannes war schlagartig gebrochen. Er atmete tief durch, versuchte, so beherrscht wie möglich zu klingen, und erzählte dem Geist, was er wissen wollte.
*
    Der SUV rumpelte über das unebene Gelände entlang eines der vielen Kanäle, die die Landschaft östlich von Al-Hillah durchzogen. Die Landschaft war eine atemberaubende Mischung aus kahler Wüste und Flecken von dichtem, tropischem Grün. Sie war als Teil des Fruchtbaren Halbmonds bekannt, das antike Mesopotamien, das Zweistromland. Vor ihnen erstreckte sich ein langes Band aus üppigem Gras und Dattelpalmen zu beiden Ufern des Tigris; der Euphrat lag hinter ihnen. In dem Land zwischen diesen beiden uralten Grenzflüssen hatte die Menschheit die Schrift erfunden, die Mathematik und das Rad, und viele Menschen glaubten, hier habe auch der biblische Garten Eden gelegen; doch niemand hatte ihn je gefunden. Abraham – der Stammvater von gleich drei großen Religionen: Islam, Juden- und Christentum – war hier geboren worden. Und auch der Geist war diesem Land entsprungen, dem er nun treu diente.
    Vorbei an einem Palmenhain fuhr der SUV in die kalkweiße Wüste hinaus, die von der erbarmungslosen Sonne zu Beton gebacken worden war. Der fette Mann stöhnte vor Schmerz, doch der Geist ignorierte ihn. Sein Blick war auf den in der Hitze flimmernden Trümmerhaufen fixiert, der allmählich Form annahm. Es war jedoch noch zu früh, um zu sagen, was das war und wie weit entfernt es lag. Was der Geist dort am Horizont sah, hätte durchaus der Bibel entspringen können: gebrochenes Land und ein Himmel wie Pergament.
    Je näher sie kamen, desto mehr nahm die Fata Morgana Gestalt an. Das Ding war weit größer, als der Geist erwartet hatte: ein viereckiges Gebäude, zwei Stockwerke hoch, eine verlassene Karawanserei, wo die Kamelkarawanen sich hatten versorgen können, die einst durch dieses uralte Land gezogen waren. Die flachen und glatten Lehmziegel, die seit gut tausend Jahren von der gnadenlosen Sonne gebacken wurden, zerfielen allmählich zu Staub.
    Staub bist du , sinnierte der Geist, während er seinen Blick über die Landschaft schweifen ließ, und zum Staub kehrst du zurück.
    Als sie näher kamen, waren Einschusslöcher in den Außenmauern zu erkennen. Die
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