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Rywig 01 - Bleib bei uns Beate

Titel: Rywig 01 - Bleib bei uns Beate
Autoren: Berte Bratt
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und hatte nicht die Gabe, anderen Freude zu bereiten. Im Gegenteil: mit ihrer Schwermut zerstörte sie ihrer Umgebung oft alle Freude. Ich möchte von meiner Frau nicht übel reden, aber ich muß es Ihnen erklären. Ich denke an sie nur mit dem tiefsten Mitgefühl. Es war nicht ihre Schuld, daß sie mit einem so schwierigen Charakter auf die Welt kam. Es war schlimm für mich und schlimm für die Kinder, aber am schlimmsten für sie selbst.
    Sie konnte infolge ihrer Melancholie hin und wieder Menschen verletzen und beleidigen. Und das - das hat sie einmal mit Tante Julie getan. Es war nur ein Mißverständnis, aber ein verhängnisvolles, und es kränkte Tante Julie furchtbar.
    Sehen Sie, Beate - darum zeugt es von wahrer Größe, daß Tante Julie unverzüglich kam und meine Situation rettete, als meine Frau starb. Tante Julie war damals gerade pensioniert worden - sie war im Staatsdienst angestellt gewesen - und ohne sich einen Augenblick zu besinnen, kam sie zu mir ins Haus - in dies Haus, das sie nach jener
    Kränkung weinend verlassen hatte.“
    Ich wollte den Doktor nicht unterbrechen. Aber heimlich dachte ich, daß es vielleicht gar kein so großes Opfer für Tante Julie gewesen war. Frau Rywig war tot, wer sollte sie noch kränken? -und vielleicht ahnte Tante Julie, daß sie durch diese Kränkung noch viele Jahre Vorteil haben würde, weil der Neffe immer die Höflichkeit und die Rücksicht selber gegen sie sein würde!
    „Ich sehe Tante Julies Fehler sehr gut, Beate“, fuhr der Doktor fort. „Ich sehe ein, daß es für Sie schwierig ist, mit ihr zusammen zu arbeiten. Und dennoch - dennoch...“
    Er machte eine Pause, und mein Herz setzte aus. Denn jetzt begriff ich, was kommen würde.
    „Beate, ich glaube - ich meine - ich bin so eine tolpatschige und kurzsichtige Mannsperson, ich habe ja nicht geahnt, wieviel Sie hier im Hause zu tun hatten, mit vier Kindern, die Sie so viel Zeit gekostet haben - und der ganze Haushalt obendrein.“
    Aha, dachte ich, Tante Julie hat also von den ungebügelten Kitteln gepetzt und von dem unordentlichen Küchenschrank.
    „Und jetzt - jetzt komme ich zum Kern der Sache, Beate - Tante Julie möchte gern hierbleiben. Sie sagt, es sei tatsächlich Arbeit für zwei genug, außer Maren - und Sie würden dann viel mehr freie Zeit haben, Sie sind jung - und - und. ja, und dann können Sie sich vielleicht noch mehr den Kindern widmen.“
    Ich schluckte und schluckte und nahm mich gewaltig zusammen, um ganz ruhig zu sprechen.
    „Ich dachte, Fräulein Rywigs Gesundheitszustand sei nicht.“ „Sie hat sich wesentlich erholt. Und wie sie selber sagt - wenn Sie Ihren Teil der Arbeit übernehmen, dann bleibe für sie nicht mehr zuviel übrig - ja, ich weiß, was Sie denken, Beate, ich verstehe Sie besser, als Sie ahnen - aber ich bitte Sie so herzlich, wie ich kann: Bleiben Sie bei uns, Beate, nehmen Sie sich der vier Kinder an - die brauchen Sie - wir brauchen Sie, wir haben Sie alle so furchtbar gern, Beate.“
    Es nützte alles nichts mehr. Ich mußte das Taschentuch hervorholen, um die dummen Tränen aus den Augenwinkeln abzuwischen.
    „Es - es wird furchtbar schwierig werden, Herr Doktor.“
    „Ich weiß es, ich weiß es. Aber, Beate, wie würde es uns ohne Sie ergehen? Und Sie verstehen doch, ich kann zu Tante Julie nicht sagen ,geh bitte wieder fort’. Sie darf nicht noch einmal verletzt und gedemütigt aus diesem Hause weggehen - Beate, verstehen Sie das?“
    „Ja, Herr Doktor“, flüsterte ich.
    „Würden Sie es versuchen, Beate? Würden Sie allen Ihren guten Willen aufbieten? Würden Sie es - um meinetwillen tun?“
    Er hatte die Brille abgenommen. Seine Augen bettelten und flehten - und sie waren groß und dunkelgrau und bis zum Rande mit Güte und Bangigkeit angefüllt.
    Wie sollte ich ihm zu seinen sonstigen Bürden noch eine weitere aufladen? Diesem Mann, den ich - ich meine - diesem Mann, den ich so sehr schätzengelernt hatte?
    „Ja, Herr Doktor“, antwortete ich. „Ich will mein Bestes tun. Um Ihretwillen.“
    Die Zwillinge jubelten über ihre Petticoats. Und der Doktor versprach ihnen neue Tanzstundenkleider.
    „O ja, Beate - wann gehen wir in die Stadt und besorgen sie?“
    „Sowie Papa mir Geld dazu gibt“, lachte ich.
    „Sie können sie bei Steen & Ström besorgen und auf Konto schreiben lassen“, sagte der Doktor.
    Am selben Nachmittag fuhr Tante Julie in die Stadt. Sie kam nach Hause mit Kleidern für die Zwillinge, nach ihrem eigenen Geschmack
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