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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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Prometheus, der Alte Knabe, sich nicht aufgerichtet und zum ersten
Mal den Mund geöffnet, um Worte der Macht zu sprechen. «Khulo!», brüllte er
in den wirbelnden Nebel des Nichts. «Ich bin doch nicht dem Vogel des Zeus
entronnen, um in einem Nebel umzukommen! Dafa ho! Hinfort,
widerlicher Vorhang, lass uns des Weges ziehen.» Woraufhin der fliegende
Teppich sogleich aus dem Nebel auftauchte und Luka wieder sehen konnte, wo sie
waren.
    Ihm bot
sich kein erfreulicher Anblick. Der Sturm hatte sie weit vom Fluss fortgeweht.
Unter ihnen lag jetzt die Stadt der Träume, und während Soraya sich bemühte,
den Teppich in die richtige Pachtung zu lenken, sah Luka die Türme der
Traumstadt wie Kartenhäuser in sich zusammenstürzen, sah die Hausruinen mit
ihren abgedeckten Dächern, aber auch die vielen unbehausten Träume, die
eigentlich nur hinter herabgelassenen Vorhängen in behaglicher Dunkelheit
gediehen, jetzt aber auf die hellen Straßen taumelten, zusammenbrachen und im
Licht vergingen. Albträume galoppierten blindlings durch die Straßen, und nur
wenige Bürger der Stadt schienen ohne Schaden davongekommen zu sein, doch
wirkten sie apathisch und achteten kaum auf das Chaos ringsum, als lebten sie
ganz in ihrer eigenen Welt. «Das müssen Tagträume sein», sagte sich Luka.
    Der
Zusammenbruch der magischen Welt machte ihm Angst, konnte dies doch nur
bedeuten, dass Raschid Khalifa in den letzten Zügen lag, weshalb Luka - während
er entsetzt zusah, wie im Land der Verlorenen Kindheit Felder und Farmen zerstört
wurden, wie Rauch von den Waldbränden in den Fernen Blauen Bergen aufstieg, wie
die Stadt der Hoffnung in sich zusammenfiel - nur dachte: Lass mich
rechtzeitig zurückkommen, bitte, lass mich nicht zu spät sein, bring mich
einfach rechtzeitig zurück.
    Dann aber
sah er die Wolkenburg Baadal-Garh in Windeseile heranbrausen, ihre massiven
Wehranlagen waren intakt, und der Wolkenberg, aus dem sie aufragte, brodelte
und blubberte wie wild, als zeigte ein Film ihn im Zeitraffer. Luka sank der
Mut, als er begriff, dass ihm die letzte Schlacht noch bevorstand. Mit der
Linken umklammerte er den Otterpott, der um seinen Hals hing und ihm mit
seiner Wärme ein wenig Kraft verlieh. Dann kroch er auf allen vieren über den
fliegenden Teppich zu Soraya hinüber - auf diesem wogenden, ständig größer und
kleiner werdenden, sturmumtosten Teppich konnte man unmöglich aufrecht gehen
- und fragte, obwohl er die Antwort bereits kannte: «Wer befehligt diese Burg?
Wird man uns angreifen?» Sorayas Miene war so angespannt wie ihr ganzer Körper.
«Hätten wir doch nur die Otter Air Force nicht so weit hinter uns gelassen»,
sagte sie wie zu sich selbst. «Aber gegen diesen Feind könnte sie uns auch kaum
helfen.» Dann wandte sie sich bekümmert zu Luka um und antwortete: «Es war mein
tiefster Wunsch, dass es niemals hierzu kommen möge», sagte sie. «Doch auch
wenn ich nicht wusste, wo, wie und wann, war mir klar, dass sie nicht einfach
klein beigeben würden. Das da, Luka, sind die Aalim, die Wächter des Feuers,
die Herren der Zeit, Jo-Hua, Jo-Hai und Jo-Aiga. Ein übleres Trio wirst du
niemals kennenlernen. Und wie vermutet, kommen sie in Gesellschaft eines
Überläufers und einer Petze. Sieh nur, oben auf der Brustwehr, dieser
ramponierte Panamahut. Da steht der Schuft, inmitten unserer schlimmsten
Todfeinde.»
    Ja, es war
Nobodaddy, wenn auch nicht länger als durchsichtiger Schemen, sondern so
solide wie ein Mensch. Wut und Kummer tobten in Lukas Herz, aber er zwang
beides nieder. In dieser Lage galt es einen kühlen Kopf zu bewahren. Die
Burgstadt Baadal-Garh näherte sich und wurde immer größer, während sich die
Wolke, auf der sie stand, um den fliegenden Teppich von König Salomon
ausbreitete und ihn schließlich ebenso einschloss wie die sich ausdehnenden
Burgmauern. Luka begriff, dass sie in einem Luftgefängnis festsaßen, und obwohl
der Himmel über ihm hell und klar aussah, war er sich doch ziemlich sicher,
dass eine unsichtbare Barriere den Weg unpassierbar machen würde, falls sie in
diese Richtung zu fliehen versuchten. Sie waren Gefangene der Zeit, und der
fliegende Teppich stoppte nun direkt unter der Brustwehr, von der jenes
Geschöpf, das Luka unter dem Namen Nobodaddy kannte, verächtlich auf sie
herabblickte.
    «Schau
mich an», rief er. «Wie du siehst, kommst du zu spät.»
    Luka musste
um seine Selbstbeherrschung kämpfen, ehe er zurückschreien konnte: «Das kann
gar nicht wahr sein, sonst
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