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Rushdie, Salman

Rushdie, Salman

Titel: Rushdie, Salman
Autoren: Luka und das Lebensfeuer
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beantworten. Die
Wahrheit ist: Es gibt keine Geister und Gespenster, also kann ich weder das
eine noch das andere sein. Und dürfte ich vielleicht noch anmerken, dass ich
im Augenblick ebenso überrascht bin wie du?»
    Bär stand
das Fell zu Berge, und Hund schüttelte verwirrt den Kopf, als begänne er
gerade, sich an etwas zu erinnern.
    «Warum
sind Sie denn überrascht?», wollte Luka wissen
und gab sich Mühe, möglichst selbstbewusst zu klingen. «Schließlich sind Sie nicht
derjenige, der durch mich hindurchsehen
kann.» Der transparente Raschid Khalifa kam näher, und Luka musste sich
zwingen, nicht vor ihm davonzulaufen. «Ich bin nicht deinetwegen hier», sagte
er. «Und es ist, nun ja, ziemlich ungewöhnlich, dass jemand Kerngesundes auf
diese Seite hinüberwechselt. Das gilt übrigens auch für Hund und Bär. Wirklich,
ganz außerordentlich. Eigentlich kann man die Grenze nicht so leicht
ignorieren.»
    «Was reden
Sie denn da?», wollte Luka wissen. «Was für eine Grenze? Und wen suchen Sie,
wenn Sie nicht meinetwegen gekommen sind?» Doch kaum hatte er die zweite Frage
gestellt, kannte er die Antwort, und die ließ ihn die erste Frage vergessen.
«Oh», sagte er. «Oh, Sie wollen zu meinem Vater...»
    «Noch
nicht», sagte der durchsichtige Raschid. «Ich bin einer von der geduldigen
Sorte.»
    «Hauen Sie
ab», sagte Luka. «Sie sind hier nicht erwünscht, Mister ... Wie heißen Sie
überhaupt?»
    Der
durchsichtige Raschid setzte ein freundliches Lächeln auf, das irgendwie gar
nicht freundlich wirkte. «Ich», begann er mit freundlicher Stimme, die irgendwie
gar nicht freundlich klang, «ich bin deines Vaters To...»
    «Nicht»,
rief Luka, «sprechen Sie das Wort nicht aus.»
    «Ich
wollte, sofern es mir erlaubt wird, fortzufahren», setzte das Phantom erneut
an, «eigentlich nur sagen, dass jedermanns To...»
    «Sagen
Sie's nicht!», schrie Luka.
    «...
anders ist», ergänzte das Phantom. «Keine zwei sind gleich. Jedes Lebewesen ist
individuell und unterscheidet sich von allen anderen Kreaturen; und jedes Leben
hat einen einzigartigen, individuellen Beginn und eine einzigartige,
individuelle Mitte, woraus letztlich folgt, dass jedes Lebewesen auch einen
einzigartigen und individuellen To...»
    «Nicht!»,
brüllte Luka.
    «... und
ich bin der deines Vaters, zumindest werde ich es bald sein, und spätestens
wenn es so weit ist, kannst du auch nicht mehr durch mich hindurchsehen, weil
ich dann der echte Khalifa bin, und er - tut mir leid, das sagen zu müssen -
wird gar nicht mehr sein.»
    «Niemand
nimmt mir meinen Vater», rief Luka. «Nicht einmal Sie, Mister... wie auch immer
Sie heißen ... Sie mit Ihren Schauergeschichten.»
    «Niemand»,
sagte der durchsichtige Raschid. «Nun, so magst du mich nennen. Das bin ich.
Niemand wird dir deinen Daddy nehmen: Das ist genau richtig, und ich bin der
fragliche Niemand, ein Nobody, was mich, so könnte man behaupten, zu deinem
Nobodaddy macht.»
    «Das ist
doch Unfug», sagte Luka.
    «Nein,
nein», korrigierte ihn der durchsichtige Raschid. «Ich fürchte, Unfug hat
nichts damit zu tun. Mit dem habe ich nichts im Sinn, das darf ich wohl mit Fug
und Recht behaupten.»
    Luka
setzte sich auf die Türstufen und stützte den Kopf in die Hände. Nobodaddy. Er begriff, was ihm der durchsichtige Raschid sagen wollte. Sein Vater
siechte dahin, und je schwächer er wurde, desto kräftiger wurde der
Phantom-Raschid, bis es am Ende nur noch diesen Nobodaddy und keinen richtigen
Vater mehr gab. Bloß in einem war sich Luka völlig sicher: Er war nicht bereit,
ohne Vater auszukommen. Dazu würde er niemals bereit sein. Die Gewissheit wuchs
in ihm und gab ihm Kraft. Also blieb nur eines zu tun, sagte er sich. Dieser
... dieser Nobodaddy musste aufgehalten werden, und er, Luka, musste einen Weg
finden, ihn aufzuhalten.
    «Um fair
und ganz ehrlich zu sein», sagte Nobodaddy, «sollte ich wohl noch einmal
wiederholen, dass du bereits Erstaunliches geleistet hast - ich meine, indem
es dir gelungen ist, die Grenze zu überqueren -, also bringst du womöglich auch
noch weitere erstaunliche Dinge zuwege. Vielleicht schaffst du ja sogar, wovon
du im Moment gerade träumst, und es gelingt dir - ha, ha, ha -, mich zu
vernichten. Ein Gegner! Du meine Güte, welch ein Spaß! Einfach ... entzückend! Wie schrecklich aufregend.»
    Luka sah
ihn an. «Was genau soll das heißen: die Grenze überqueren}», fragte er.
    «Hier, wo
du bist, ist nicht, wo du warst», erklärte Nobodaddy
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