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Runenschwert

Runenschwert

Titel: Runenschwert
Autoren: Low Robert
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in der Ecke zu krabbeln.
    Ich saß da in meinen wollenen Kleidern und brütete vor mich hin, das Runenschwert auf den Boden gestützt, während ich auf den Griff mit den hineingekratzten Zeichen starrte. Ich hatte sie mithilfe des kleinen Eldgrim eingeritzt, als wir uns von Attilas Grab mit dem verborgenen Silberschatz zurück schleppten, denn obwohl ich nicht besonders gut im Runenlesen war, reichte es doch, um den Weg zu diesem geheimen Ort wiederzufinden.
    Nach den grauenvollen Ereignissen an Attilas Grabmal und den vielen Toten, die wir dort hatten zurücklassen müssen, hatte ich mir geschworen, nie wieder zurückzukehren, und dennoch hatte ich diese Zeichen eingeritzt: als hätte ich trotz allem vor, mich erneut zu Attilas Grab aufzumachen. Odins Hand, ohne Zweifel.
    Ich hatte an dieser Angel gezappelt und mich nach Kräften gewehrt; ich hatte viele gute Gründe gefunden, damit die Eingeschworenen nicht darauf bestanden, zum Grab zurückzukehren. Und dennoch hatte ich immer gewusst, dass ich Kvasir und die anderen zu diesem verwünschten Ort würde zurückbringen müssen – oder ich müsste Kvasir in das Geheimnis um das Grabmal einweihen und ihn allein ziehen lassen. Das ging auch nicht, denn wir waren Eingeschworene, und meine Angst, den Schwur zu brechen, war fast so groß wie meine Angst vor dieser unheimlichen Grabkammer.
    Wir schwören, dass wir einander Brüder sein wollen, mit Knochen, Blut und Stahl. Wir schwören auf Gungnir, Odins Speer, möge er uns bis in die Neun Reiche und darüber hinaus verfluchen, wenn wir diesen Schwur gegeneinander brechen .
    Der Schwur. Er band uns in Ketten der Gottesfurcht, trieb uns in Kälte und Sturm, ließ uns Dinge tun, von denen die Skalden später singen würden – aber auch Dinge, die in der Erinnerung besser unter einem großen Stein begraben blieben, so schändlich waren sie. Und doch, wenn wir mit dem Rücken zueinander standen, vor uns die, die nicht zu uns gehörten, dann wussten wir, dass jede Schulter neben uns einem Mann gehörte, der eher sterben als uns im Stich lassen würde.
    Im Bund der Eingeschworenen war ich vom einfachen Jungen, vom Nithing, zum Jarl geworden und thronte jetzt auf dem Hochsitz meiner eigenen Halle – und doch war selbst dieser Thron nicht mein eigener, er war die Beute aus dem letzten Kampf für Jarl Brand und Erik, den neuen König. Ich hatte ihn aus der Halle von Ivar Wetterhut mitgenommen, dessen Kopfbedeckung angeblich Stürme heraufbeschwören konnte. Er hätte damit winken sollen, als wir in seine Bucht gerudert kamen, denn als wir bei schönstem Wetter und ruhiger See wieder abzogen, war sein Hof niedergebrannt und er hatte alles verloren, selbst seinen Thron.
    Nach dem Raubzug waren wir alle hierhergekommen. Wir harten Männer, wir Räuber, hatten uns in dieser Halle niedergelassen, die nach nasser Wolle und Hunden roch und wo es schreiende Kinder und schimpfende Frauen gab. Seitdem hatte ich getan, was ich konnte, damit sich meine zähen Kerle hier zu Hause fühlten. Und das, wie ich glaubte, mit Erfolg; deshalb hatte ich beschlossen, einen Stein für uns aufzustellen, damit wir hier Wurzeln schlugen.
    Was das Runenschneiden anbelangt, so gibt es in der ganzen Welt nur eine Handvoll wirklicher Meister, die die Kett- und Schussfäden im Leben eines Menschen so perfekt in Stein meißeln, dass die Nachkommen es noch tausend Jahre später lesen können. Wir wollen, dass jedermann erfährt, wie mutig wir gekämpft, wie leidenschaftlich wir geliebt haben. Wer dieses Kunststück fertigbringt, verdient in jeder Halle den besten Platz auf der Bank.
    Die Schlangenrunen auf dem Stein der Eingeschworenen sollte der Runenmeister Klepp Spaki mit einem Werkzeug einmeißeln, das so spitz wie der Schnabel eines Vogels war. Klepp Spaki hatte das hohe Handwerk von einem Mann gelernt, der bei einem Mann gelernt hatte, der bei Varinn gelernt hatte. Derselbe Varinn, der den Ruhm seines toten Sohnes in einen Stein gemeißelt hatte, was ihm so erstaunlich gut gelungen war, dass der Ort fortan Rauk hieß, was Stein bedeutet.
    Als Klepp fertig war, fuhr ich mit den Fingern über die Schlangenlinien, die er für uns gemeißelt hatte. Sie waren noch grobkörnig und auch noch nicht eingefärbt. Ich habe das Runenlesen erst spät gelernt und den Odin-Zauber ihrer Zeichen nie richtig beherrscht, auch wusste ich nie, wo der Anfang war, wenn man ihn mir nicht zeigte.
    Man liest genauso viel mit den Fingern wie mit den Augen. Es soll schwer sein –
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